Sonntag, 14. März 2021

#006.8 – Sarah - Briefe

 

#006.8 – Sarah - Briefe


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute kommt Sarah wieder zu Wort.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.

Briefe


An einem Samstag vor zwei Wochen war der Parkplatz vor dem Supermarkt voller Autos gewesen. Zum Glück war Sarah mit ihrem Rad unterwegs und sparte sich dadurch den Kampf um die wenigen Parklücken und die aufgeheizte Stimmung zwischen den gestressten Autobesitzern. Entspannt hatte sie einfach das Rad in den Fahrradständer geschoben und ihren Einkauf erledigt.

Beim Zurückstellen des Einkaufswagens fiel ihr Blick auf eine auf dem Boden liegende dunkelbraune Ledergeldbörse mit aufwändiger Prägung. Sarah hob sie auf und blickte sich um, ob jemand in der Nähe war, der offensichtlich etwas Wichtiges suchte. Alle beschäftigten sich mit anderen Dingen, zum Beispiel damit, mit grimmiger Miene die Einkäufe einzuräumen oder banale Unterhaltungen über das geplante Mittagessen zu führen. „Möchtest Du lieber Kartoffeln oder Nudeln zu dem Gulasch essen, Karl-Heinz?“, fragte eine Frau in Sarahs Hörweite ihren mürrisch dreinblickenden Mann.

Sarah öffnete die Börse und schaute nach Hinweisen zu dem Besitzer. Tatsächlich lag ein zusammengefaltetes Arztrezept mit einer Adresse darin. Ansonsten waren die üblichen Dinge wie Bargeld und Bankkarten, allerdings kein Personalausweis, zu finden. Die Geldbörse gehörte einem Mann der in einem weiter entfernten Bundesland lebte, so schied die Möglichkeit aus, das Fundstück einfach innerhalb der Stadt zurückzubringen.

Sarah fragte noch einmal bei der Kassiererin im Supermarkt, ob ein Kunde bei ihr nach seiner Geldbörse gefragt hatte, was sie verneinte.

Okay, also werde ich die gute alte Post bemühen“, dachte sie, während sie mit ihren Einkäufen nach Hause radelte.

Nach dem Verstauen der Einkäufe, kramte sie ganz hinten in ihrer Schreibtischschublade nach ihrem Briefpapier.

Guten Tag Herr Schneider,

beim Einkaufen fand ich Ihre Geldbörse, die ich Ihnen hiermit im versicherten Versand zurück sende. Zum Glück hatten Sie das Rezept von Ihrem Arzt noch nicht eingelöst.....

Entschuldigen Sie meine Neugier, aber es ist gerade in der „C“-Zeit außergewöhnlich, dass jemand, der nicht in der Nähe des Supermarktes wohnt, in dieser Stadt unterwegs ist. Wären Sie mein „Nachbar“, hätte ich einfach bei Ihnen geklingelt und Ihnen Ihr Eigentum übergeben.

Herzliche Grüße von Sarah Behrens“

Die Tage vergingen und Sarah dachte nicht mehr an diese kleine Begebenheit.

An einem Donnerstag nach der Arbeit öffnete Sarah ihren Briefkasten und darin lag neben einem Werbeblättchen ein Briefumschlag aus gefüttertem Leinenpapier. Ihre Adresse hatte der Absender mit echter blauer Tinte geschrieben und der markante Schwung bei dem „S“ ihres Vornamens fiel sofort ins Auge. Dieser Brief sah aus, als hätte er sich aus dem letzten Jahrhundert in das Jahr 2021 verirrt.

Sarah hatte einen vollen Arbeitstag hinter sich und freute sich auf den Feierabend. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung lief sie an Spike, dem Kater, vorbei. Er machte gerade ein Schläfchen auf Frau Schulzes Fußmatte, träumte und wackelte dabei ein wenig mit seinen Katerohren.

Endlich auf dem Sofa angekommen, öffnete Sarah den Brief vorsichtig. Solche Art Briefe waren nicht dazu geeignet, einfach aufgerissen zu werden.

Liebe Sarah,

darf ich Sie Sarah nennen? Falls es Sie stört, bitte ich um Verzeihung für meine persönliche Anrede. Für mich passt Frau Behrens nicht so gut, weil ich Ihnen so unendlich dankbar dafür bin, dass Sie mir mein verlorenes Portemonnaie zugeschickt haben. Sie können mir glauben, dass ich ehrlich verzweifelt war, als ich den Verlust bemerkte. Sie haben sogar den versicherten Versand extra bezahlt, nicht zu vergessen, Ihre Mühe, alles gut zu verpacken und zu beschriften.

Ja, was hatte ich in Corona-Zeiten in Ihrer Stadt zu suchen? Das ist eine berechtigte Frage, die ich Ihnen gerne beantworte. Meine Schwester wohnt mit ihrer Familie in Ihrer Nähe und ab und zu besuche ich sie. Da die Blumenläden immer noch geschlossen sind, musste meine Schwester mit einem Standard-Supermarkt-Blumenstrauß vorlieb nehmen. Beim Einkauf ist mir die Börse wohl aus der Jackentasche gefallen. Eigentlich verschenke ich viel lieber andere Sträuße, die mit Liebe und Ideen gestaltet sind, aber es sind besondere Zeiten.

Das Wochenende bei meiner Schwester war unter anderem wegen des Verlustes meiner Geldbörse nicht so entspannt wie geplant, da ich meine Bankkonten sperren musste usw. Eigentlich war der Ausflug als Tapetenwechsel im ständigen Lockdown-Einerlei gedacht. Ich musste einfach einmal etwas anderes sehen und erleben. Vielleicht verstehen Sie das. Es geht wohl nicht nur mir so.

Für Ihre Mühe und Ehrlichkeit möchte ich mich gerne erkenntlich zeigen. Womit kann ich Ihnen eine Freude bereiten? Mögen Sie schöne Blumensträuße? Das ist vielleicht nicht so eine gute Idee, falls es einen Partner an Ihrer Seite gibt. Ich möchte Sie natürlich weder in Verlegenheit oder noch in Erklärungsnot bringen. Also, lieber etwas anderes, zum Beispiel einen Gutschein? Ich freue mich, wenn Sie mir einen Tipp geben, auf welche Weise ich mich bei Ihnen bedanken darf.

Bleiben Sie so (ehrlich), wie Sie sind, und ich freue mich, von Ihnen zu hören.

Ihr Thomas Schneider aus dem schönen Hessen“

Sarah las die Zeilen noch einmal .Ihr gefiel die harmonische Handschrift und die Sorgfalt, mit der dieser Brief geschrieben war.

Herr Schneider hatte keine Telefonnummer angegeben. Sie konnte ihm nicht per SMS auf seinen altmodischen Brief antworten oder anrufen.


 
Mein Buch habe ich gerade fertig gelesen und im Fernsehen läuft sowieso nichts Interessantes, nur jede Menge Informationen zur Pandemie, die in größerer Dosierung schlechte Laune verbreiten“, dachte Sarah, „also, schreibe ich einen Brief an Herrn Schneider und eine Briefmarke gibt es in den Tiefen meines Schreibtisches auch noch irgendwo.“

Wieder holte Sarah das Briefpapier aus ihrer Schublade. Der Füller in dem alten Federmäppchen war eingetrocknet, aber es gab noch Tintenpatronen. Das Schreibgerät musste unter fließendem Wasser und mit einiger Mühe erst wieder im Leben erweckt werden.

Warum schreiben wir heutzutage so selten richtige Briefe?“ fragte sich Sarah, „es ist echte Entschleunigung und total schön.“

Mit der Teetasse neben sich, fing Sarah an zu schreiben.

Lieber Thomas,

Ihre Form der Anrede nehme ich gerne auf. Sie dürfen mich natürlich mit „Sarah“ ansprechen. Es ist lange her, dass ich so einen charmanten Brief bekommen habe.

Dass Sie Ihr Eigentum von mir zurück bekommen haben, finde ich selbstverständlich. Dafür müssen Sie mir nichts schenken. Diese üblichen Gutscheine des großen Onlineversenders sind aus meiner Sicht sehr unpersönlich. Nein, für mich muss dieser Online-Händler, der fast keine Steuern zahlt und während der Pandemie immer reicher wird, nicht noch extra verdienen. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich nie etwas dort bestelle, ab und zu passiert es schon, aber nicht ständig. So politisch wollte ich an dieser Stelle gar nicht werden.

Mit einem Blumenstrauß würden Sie mich nicht Verlegenheit bringen, da ich momentan Single bin. Blumen kaufe ich mir manchmal selbst, um den Frühling in meiner Wohnung einziehen zu lassen. Diese Corona-Zeiten schlagen mir – wie den meisten – öfter auf die Stimmung, von daher kann ich den Wochenend-Ausflug zu Ihrer Schwester gut nachvollziehen. Ich war in den letzten Monaten immer in meiner vertrauten Umgebung und dabei ist mir manchmal die Decke auf den Kopf gefallen.

Den Ort, in dem Sie leben, kenne ich ganz gut. Eine gute Freundin von mir hat dort vor vielen Jahren studiert und ich war öfter bei ihrer damaligen WG zu Besuch. Abends haben wir die Stadt unsicher gemacht, waren unter anderem in der kultigen Jazz-Kneipe oder in den Programm-Kinos unterwegs. Mein Spruch zu diesen kleinen Kinos war immer:

Dort werden Filme gezeigt, die Preise gewinnen, die keiner kennt. :-)

Diese aus der Zeit gefallenen plüschigen Kinos sind aber typisch für Ihre Heimatstadt. Hoffentlich überleben sie die Pandemie.

Es hat mir Spaß gemacht, auf Ihre Zeilen zu antworten. Wenn Sie mögen, können wir uns gerne ab und zu richtige Briefe schreiben und Sie erzählen mir zum Beispiel, wie sich Ihr Heimatstädtchen entwickelt hat.

Sind Sie auch manchmal vor den Corona-Schließungen in der besagten Jazz-Kneipe gewesen und haben den in sich gekehrten Jazz-Musikern zugehört, die anscheinend mit ihren Instrumenten verwachsen sind? Gibt es noch die Trödel- und Second-Hand-Läden und die vielen Studenten-Kneipen? In Letzteren habe ich lustige Abende verlebt.

Bleiben Sie gesund und ich freue mich, wenn Sie mir auf diesen Brief wieder ganz altmodisch auf Papier, mit Umschlag und Briefmarke antworten. Das fühlt sich für mich an wie eine Insel im bewegten Ozean der „C“- Zeit. So ähnlich, als würde ich ein altes Schmuckkästchen öffnen und darin die alten goldenen Manschettenknöpfe meines Vaters wieder finden, die er zu besonderen Anlässen getragen hat.

Ihre Sarah“

Nachdenklich blickte Sarah vor sich hin, las den Brief noch einmal und legte ihn gefaltet in einen Umschlag. Sie würde ihn morgen auf dem Weg zur Arbeit in den Briefkasten werfen.

Chris Botti - Cinema Paradiso: Love Theme - 8/13/2006 - Newport Jazz Festival (Official)

Fortsetzung folgt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen