#004.14 – Marie – kalter Frühling
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute schreibe ich Euch
aus der Perspektive von Marie, wie sich der
nahende Frühling im
Lockdown anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.
Kalter Frühling
Die Sonne schien und der Himmel strahlte in einem frischen Blau. Vögel sangen fröhlich und die Eisreste auf den Autoscheiben schmolzen langsam dahin.
Spike startete gerade seine Morgenexpedition nach draußen. Frau Schulze in dicker Winterjacke, mit einer Mülltüte in der einen Hand, hielt ihm die Eingangstür auf und er verschwand wie ein Rentner-Kater-Blitz hinter in den Büschen. Es war Samstagmorgen und die meisten Bewohner des Hauses schliefen noch.
Marie blinzelte ein wenig und war noch in ihren Träumen gefangen. Sie hatte von dem großen Fluss geträumt. Dort hatten Christian und sie sich vor mehr als einem Jahr zu einem Spaziergang verabredet und das erste Mal geküsst.
Gestern Abend hatten sie sich richtig gestritten. Marie hatte sich spätabends wieder auf den Weg zu ihrer Wohnung gemacht. Dabei hatte sie im Auto während der Fahrt die eine oder andere Träne vergossen.
Lag es an diesem Lockdown? Oder war in ihrer Beziehung einfach Sand im Getriebe?
Marie ging zum Fenster, öffnete es und ließ die kalte und klare Morgenluft in ihr Schlafzimmer. Draußen schwirrten Vögel umeinander herum.
„Kaffee ist jetzt genau das Richtige“, dachte sie und ging in die Küche.
Sie dachte an den Frühling vor zwei Jahren. Sie war Single gewesen und hatte sich mit Freundinnen und ihrem besten Kumpel nach Lust und Laune abends auf einen Feierabend-Wein treffen können. Außerdem gab es diesen Mann, mit dem sie ein bisschen geflirtet hatte. Im Nachhinein betrachtet schienen es Begebenheiten vor einer Zeitenwende gewesen zu sein. Damals hatte sie ihre Freundinnen bei den Treffen noch umarmt, und den Mann, für den sie sich interessierte und der ihr so nette Dinge erzählte, natürlich auch. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, und es überhaupt in Erwägung gezogen, dass diese Sorglosigkeit ein Jahr später nicht mehr möglich war. Und nach einem weiteren Jahr immer noch nicht.
Sie schaltete das Radio ein. Ein Mann erzählte dem Moderator am Telefon, dass er nächste Woche einen Friseurtermin bekommen habe und gerade aussähe wie ein „Monchichi auf Koks“. Marie lachte, als sie sich einen Affen aus Plüsch mit Haarschleife auf dem Kopf im Drogenrausch vorstellte. Ihre Frisur war auch ziemlich zusammengefallen, meistens trug sie einen Pferdeschwanz. „Ich werde nächste Woche einen Friseurtermin vereinbaren, das ist bestimmt stimmungsaufhellend.“
Was war gestern nur los gewesen? Sie hatte eine anstrengende Arbeitswoche gehabt und Christian war verärgert gewesen, dass ein wichtiger Auftrag storniert worden war. Dazu noch eine Prise Lockdown-Tristesse und schon gab ein Wort das andere.
Es war das erste Mal, dass sie so unversöhnlich auseinander gegangen waren. Christians Wohnungstür hatte sich laut hinter Marie geschlossen, als sie die Wohnung verließ.
Heute morgen vermisste sie ihn schon wieder und überlegte, was genau der Auslöser ihres Streits gewesen war.
„Was macht diese Zeit nur mit uns?“, überlegte sie, während sie die Kaffeedose aus dem Schrank holte, „wie angespannt alles ist: Privat, im Job und in der Welt. Wir sind alle mehr oder weniger Lockdown-Zombies oder wahlweise Plüschaffen auf Koks, nicht nur auf dem Kopf sondern auch im Kopf.“
Es klingelte an ihrer Wohnungstür.
„Marie“, die Stimme klang bedrückt durch die Sprechanlage, „ich fühle mich schrecklich und habe heute Nacht kein Auge zugemacht. Wie wäre es mit einem Frühstück? Ich habe Brötchen dabei.“
Marie zögerte eine Sekunde und drückte den Knopf, um Christian hineinzulassen.
„Ich sehe furchtbar aus“, dachte sie und schaute an ihrem alten Minnie Mouse Schlafshirt herunter, „geschlafen habe ich auch wenig, vielleicht dreht er sich gleich auf dem Absatz wieder um.“
„Marie“, er stand etwas atemlos vor ihrer Wohnungstür, „was war das gestern? Heute morgen dachte ich, ich drehe durch.“
„Komm doch rein“, antwortete sie und verlagerte ihr Gewicht verlegen von einem Bein auf das andere, „keine Ahnung, was das war. Kein Licht am Ende des Lockdown-Tunnels und Dein stornierter Auftrag, plus meine seltsame, stressige Arbeitswoche vielleicht? Wie findest Du eigentlich meine Frisur?“
Christian konnte sich ein Lachen nicht verkneifen: „Wenn Du gerade aufgestanden bist, mag ich Dich am liebsten anschauen, egal, ob Deine Haare länger sind als sonst.“
„Sehr charmant, aber das kannst Du doch nicht ernst meinen. Ich möchte so gerne wieder ausgehen, ein schönes Kleid anziehen, toll gestylt sein und ohne ein Stück Stoff im Gesicht Spaß haben. Alles erscheint gerade sehr trübe und hoffnungslos.“
„Auch das geht vorbei“, sagte er leise.
„Das hat Regine neulich gesagt. Sie sagte, es sei ein Spruch von ihrer Oma.“
„Regines Oma hat Recht. Entschuldige, dass ich gestern so gereizt war. Ich möchte mich überhaupt nicht mit Dir streiten. Worüber eigentlich? Ich bekomme es nicht mehr zusammen.“
„Ich auch nicht. Nachher rufe ich bei meiner Friseurin an. Das ist doch ein guter Plan.“
„Frühstück? Oder verschieben wir das auf später?“, fragte er leise.
„Später“, flüsterte Marie.
Fortsetzung folgt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen