Sonntag, 13. September 2020

#006.2 – Sarahs Tagebuch – 9/11 und andere Gedanken

 

#006.2 – Sarahs Tagebuch – 9/11 und andere Gedanken

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibt Sarah wieder in ihr Tagebuch.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.


1 Tag nach 9/11 - viele Jahre später



Hallo Du geduldiges Tagebuch,

gestern jährten sich wieder die Ereignisse des 11. September und wie jedes Jahr dachte ich daran, was ich gerade tat, als die Nachricht im Radio kam, dass Flugzeuge in New York in Wolkenkratzer flogen. Was soll ich sagen? Ich war damit beschäftigt, Wollmäuse in meiner damaligen Wohnung mit dem Staubsauger zu jagen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich, nachdem die Durchsage kam, den Fernseher eingeschaltet, weil ich zunächst der Meinung war, mich verhört zu haben.

Irgendwie hatte nach meinem Empfinden unser westlicher konsumorientierter Lebensstil danach seine Unschuld verloren. Auf einmal waren wir, die im Überfluss und vermeintlich in Sicherheit lebten sowie immer höher, schneller und weiter strebten, angreifbar und verletzlich geworden. Dieses Bild habe ich noch deutlich im Kopf: Während ich mit meinem Staubsauger einer langweiligen, alltäglichen Tätigkeit nachging, wurde ein neues Zeitalter eingeläutet.

Heutzutage gibt es andere und zusätzliche Herausforderungen. Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen und wird digital immer effizienter. Das zeigt sich besonders in der Arbeitswelt, finde ich. Bei meinem Bürojob gibt es eine enorme Verdichtung der Aufgaben und Abläufe. Ich habe ein Bild eines Jongleurs im Kopf, der sehr viele Bälle in der Luft hat. Das System ist sehr instabil und erfordert volle Konzentration. Fällt ein Ball herunter, ist die Mühe sehr groß, alles wieder in Bewegung zu bringen, um in dem Bild des Jongleurs zu bleiben.




Deshalb mag ich am Wochenende als Ausgleich entschleunigte bodenständige und analoge Aktivitäten. Morgen werde ich beispielsweise einen Kuchen backen. Nachmittags gibt es dann einen Kaffeeklatsch bei einer guten Freundin, die sehr gerne in ihren Blumenbeeten buddelt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes noch bodenständiger als Kuchen backen. Sie hat, nebenbei bemerkt, ebenfalls einen fordernden Bürojob. Diesen Kühlschrank-Magneten habe ich heute in der Stadt entdeckt und werde ihn ihr, zusammen mit dem Kuchen, mitbringen:



Gerade in anstrengenden beruflichen Phasen muss ich mich immer wieder ermahnen, nach Feierabend und am Wochenende einen Gang zurück zu schalten. Vor kurzem hatte ich bei meiner Gitarre neue Saiten aufgezogen und ab und zu ein paar einfache Songs gespielt. Ja, natürlich ist es wieder eingeschlafen, als der Stresslevel im Job angestiegen ist. Absurd ist, dass ich manchmal zu müde dafür bin, Dinge zu tun, die mich innerlich stärken. Wie kommt man da wieder heraus? Gibt es ein Rezept dagegen außer Selbstdisziplin? Wenigstens schreibe ich seit einiger Zeit wieder Tagebuch.

Was bei mir mittlerweile wirklich gut funktioniert, ist der bewusste Fokus auf die guten Dinge des Alltags. Neben den Kolleginnen und Kollegen mit nervigen Verhaltensweisen gibt es auch die anderen, die mein Herz erfreuen und die mich aufbauen.

Außerdem zähle ich innerlich oft die schönen Aspekte auf, die mein Leben ausmachen. Ganz weit oben auf meiner Liste, steht meine wunderschöne kleine Wohnung, mein Rückzugsort und meine Entspannungsoase mit Kater Spike.

Mein Nachbar sagte neulich, er sei so froh darüber, dass ich hier eingezogen bin. Ich bin es auch, lieber Nachbar, jeden Tag kann ich mich dafür begeistern, hier zu wohnen.

Außerdem freue ich mich darüber, dass außer meinem Beruf und der Organisation meines Alltags viele Geschichten, Musik und ein reiches Innenleben mit vielfältigsten Wahrnehmungen in mir sind. Das ist ein echter Schatz.

Die kleine Hannah, die mit ihrer Familie hier lebt, scheint vom gleichen Schlag zu sein wie ich. Wir verstehen uns trotz des Altersunterschieds ohne Erklärungen. Mir passiert es selten, dass ich auf solche Mitmenschen treffe, die so ähnlich gestrickt sind wie ich. Wenn es passiert, freue ich mich immer sehr darüber.

Neulich, als wir uns im Treppenhaus trafen, führten Hannah und ich folgende Konversation:

Hallo Hannah, Herr Meyer wird sich wohl jetzt eine Pizza bestellen, oder?“

Es roch nach leicht angebranntem Essen und einer komischen Kombination von zusammengerührten Lebensmitteln aus der Wohnung von Herrn Meyer, nicht penetrant sondern nur für die spezielle Nasen von Hannah und mir wahrnehmbar. Für uns war es offensichtlich, dass Herr Meyer mit seinen Kochkünsten gescheitert war.

Ja, Sarah, das glaube ich auch. Es riecht wirklich übel, der arme Herr Meyer. Na ja, zum Glück gibt es ja genügend Pizza-Lieferanten.“

Außerdem weiß Hannah immer, wie es einer anderen Person geht. Trotzdem sie sehr schüchtern ist, hat sie mich neulich angesprochen, als ich von der Arbeit kam. „Hallo Sarah“, sagte sie, „gab es schlechte Nachrichten bei Deiner Arbeit?“ Sie hatte damit genau den Nagel auf den Kopf getroffen. In der Tat war es der Tag der „bad news“ bei der Arbeit gewesen.

Das waren wieder viele Gedanken. Durch das Schreiben kann ich mich innerlich gut sortieren und am Montag wieder alle bunten Bälle in meinem Job aufnehmen und versuchen die Balance und den Überblick zu behalten.

PS

Heute kaufte ich wieder in dem Supermarkt ein, in dem ich nicht auf die Flirt-Versuche des netten Mannes reagiert habe, weil ich in dem entscheidenden Moment zu schüchtern war. Er war dieses Mal nicht dort …. und mein traumhaft schönes neues Kleid hängt immer noch ungetragen außen an meinem Kleiderschrank ….




Sonntag, einen Tag später

Es duftet köstlich nach Apfelkuchen in meiner Wohnung. Falls Hannah im Treppenhaus unterwegs ist, wird sie es riechen.

Beim Backen lief bei mir die folgende Playlist:

George Benson: Songs and stories

Das passt sehr gut zu einem entspannten Sonntag mit den Fingern im Kuchenteig.



Fortsetzung folgt



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