Sonntag, 10. Mai 2020

#004.7 Marie – Erwachen aus dem Lockdown

#004.7 Marie – Erwachen aus dem Lockdown

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)



Heute schreibe ich Euch, wie Marie es erlebt, dass die Welt aus der Starre der
Pandemie-Regeln langsam wieder erwacht.
Sie wohnt im Dachgeschoss links. 


Erwachen


Große Lobby-Verbände trommelten immer lauter und wollten wieder Umsätze und sogenannte Normalität, willige Konsumenten und Unterstützung vom Staat bei gleichzeitiger Dividenden-Ausschüttung für Aktionäre. Noch war die Corona-Lupe, die gnadenlos alles aufdeckte, was gesellschaftlich schon lange schief lief, angeschaltet und diese Lautstärke und Anmaßung wirkte auf viele sehr bizarr. Es war Sand ins Getriebe des vorherigen westlichen Lebensstils gekommen, nichts war wie vorher. Die Decke, die viele Missstände zugedeckt hatte, war durch das Virus weggezogen worden.Die Unsicherheit, auch hinsichtlich Jobs und Lebensgrundlagen, hatte massiv zugenommen. Gleichzeitig vergrößerte sich der Bewegungsradius wieder und die Menschen freuten sich darauf, Stück für Stück ihre Freiheiten zurück zu erlangen. 


Das Gelände der kleinen Hausgemeinschaft hatte der alte Kater Spike wochenlang für sich allein gehabt. Nun war das Absperrband auf dem Spielplatz entfernt worden und Marie wurde auf ihrem Balkon Zeugin, wie eine Nachbarfamilie mit zwei Kindern im Kindergartenalter diesen Kinderlebensraum zurück eroberte. Die Sonne schien und Marie hatte es sich mit ihrem Kaffeebecher und einer kleinen Nascherei auf dem Balkon bequem gemacht. Die Kinder waren außer Rand und Band vor Freude, endlich wieder schaukeln, rutschen und auf dem kleinen Karussell fahren, bis ihnen schwindelig wurde. Sie lachten und kreischten und die Erwachsenen wirkten entspannt und fröhlich. Die Szene war wie eine Insel inmitten von Unsicherheit und Umbruch.
Marie hatte eine arbeitsreiche Woche hinter sich, was sie aber sehr genossen hatte. Sie mochte produktiv sein und Dinge voran bringen. Beides war ihr in den letzten Tagen gut gelungen. Auch die favorisierte Fortbildung war schon fest eingeplant, nur der Starttermin noch offen.
Ein Höhepunkt diese Woche war der Friseurtermin gewesen. Natürlich war alles anders als vorher, aber ein guter Haarschnitt sorgte grundsätzlich bei Marie für gute Laune. Diese vorherigen Selbstverständlichkeiten, wie zum Beispiel ein Besuch beim Friseur, waren momentan etwas Besonderes und Schätzenswertes. Für Marie fühlte es sich gut an, das zu spüren und ganz bewusst solche Momente zu genießen, auch wenn es keinen Kaffee gab, während die Haare geschnitten und geföhnt wurden, und auf dem Fußboden Markierungen geklebt waren, die nicht überschritten werden durften. Sich selbst die ganze Zeit im Friseursalon mit Mund-Nasen-Schutz im Spiegel zu betrachten, war ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Aber auch das konnte Marie mit Humor betrachten, schließlich ging es den anderen nicht anders.
An diesem Wochenende war sie – das erste Mal seit vielen Wochen – mit einer guten Freundin zu einem Spaziergang verabredet. Die Welt, auf jeden Fall Maries kleines Universum, schien ein wenig aus einer Art Tiefschlaf zu erwachen, es waren die ersten tastenden Schritte außerhalb des Corona-Maßnahmen-Tunnels.
Während Marie in ihrer Kaffeetasse rührte und über die vergangene Woche, ihre Projekte im Job, den Friseurbesuch und andere Dinge sinnierte, ging eine Nachricht von Christian auf ihrem Handy ein.
Liebste Marie, viele Grüße von der Terrasse meines Arbeitskollegen Thomas. Wir genießen gerade die Abendsonne bei einem Feierabend-Bier mit Abstand :-) Thomas lädt uns demnächst zum Grillen ein, wenn die Viruslage es zulässt. Ich bin ein bisschen beschwipst und wollte Dir unbedingt schreiben, dass ich es großartig finde, dass wir uns gefunden haben. Wollen wir noch ganz lange zusammen Detektiv-Hörspiele hören und Kochrezepte ausprobieren? Und natürlich demnächst im feinsten Restaurant der Stadt essen gehen? Ich liebe Dich, Christian“
Marie überlegte einen Moment und antwortete:
Liebster, viele Grüße an Deinen Kollegen und danke für die Einladung. :-) Zu Deiner Frage: Ja, ich will!! Und mit Dir im Restaurant essen gehen ebenso. Dafür hole ich mein schönstes Kleid aus dem Schrank und die schicken Schuhe, die ein bisschen drücken :-) Ich liebe Dich auch, Deine Marie PS Möchtest Du nachher noch vorbei kommen? <3 <3 Wir könnten ein Hörspiel hören und zusammen dabei einschlafen oder etwas anderes machen ...“


Ende
Anmerkung der Autorin:
Hier endet meine kleine Reihe über Marie. Der erste Teil entstand, weil ich eine „richtige“ Kurzgeschichte für eine Lesung schreiben wollte, mit allen Kriterien, die eine Kurzgeschichte per Definition ausmachen. Daraus hat sich im Nachgang bei den folgenden Beiträgen eine Betrachtung der aktuellen Corona-Lage entwickelt. Die Figur Marie ist mir beim Schreiben sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht nehme ich den Faden später noch einmal auf, um u. a. der Figur Christian noch mehr Kontur zu geben. Ich finde es spannend, wie sich diese Liebesgeschichte weiter entwickeln könnte. Manchmal ist die Autorin selbst überrascht, wohin die Phantasie beim Schreiben wandert. :-) 
Demnächst möchte ich mich dem Thema „zuckerfrei leben“ widmen. Dazu plane ich, meinen Leserinnen und Lesern, die es ausprobieren möchten, ein paar konkrete Tipps, Ideen und Rezepte zur Verfügung zu stellen. Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Fortsetzung folgt (zuckerfrei :-) )


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