Freitag, 25. Dezember 2020

#000.5 Weihnachtswünsche an alle Leserinnen und Leser

 

#000.5 Weihnachtswünsche an alle Leserinnen und Leser



Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Freundinnen und Freunde,

am Ende eines besonderen Jahres nutze ich die Gelegenheit, mich bei Euch für Euer Interesse und Feedback zu bedanken. Das bedeutet mir sehr viel.

Ich wünsche Euch allen ein frohes Weihnachtsfest und viel Gesundheit in diesen herausfordernden Zeiten.

Dankbar bin ich für die vielen Erkenntnisse, die ich gewinnen durfte, gerne habe ich Euch in Form meiner Geschichten daran teilhaben lassen.

Das Leben strebt stets zum Echten und Authentischen. Diese tiefe Einsicht zieht sich bei mir wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche. Alles, was sich nicht mehr echt anfühlt, darf gerne gehen und Neuem Platz machen. An der Umsetzung hapert es manchmal, weil Ängste im Wege stehen. Dann drehe ich ab und zu eine „Extrarunde“, bis ich verstanden habe, worum es eigentlich geht. Aber meine Strategien, Ängste und ungünstige überholte Überzeugungen zu überwinden, werden immer besser. Dazu hat das regelmäßige Schreiben einen großen Teil beigetragen. Also, ich bleibe dran :-)

Vielen Dank für die ganzen Weihnachtswünsche, Karten, kleinen Präsente und Nachrichten, die mich im Dezember erreicht haben. Ich habe Euch alle sehr lieb und Ihr seid ein wichtiger Teil meines Lebens. Lasst uns noch ganz viel zusammen erleben und Unsinn machen, weil das Leben immer die allerbesten Geschichten schreibt.

In diesem Sinne wunderschöne Weihnachtstage für Euch von der Autorin

Pachelbel Canon in D Major

(unerreicht und wunderschön)

Sonntag, 13. Dezember 2020

#003.4 Hannah – Corona und Weihnachten

 

#003.4 Hannah – Corona und Weihnachten

(Die Welt eines hochsensiblen Kindes)


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute kommt wieder Hannah zu Wort. Sie ist mittlerweile
12 Jahre alt und wohnt im Erdgeschoss.

Corona und Weihnachten


 
Hallo, hier ist wieder Hannah, das Kind mit den vielfältigen Wahrnehmungen, die manche Menschen seltsam und irritierend finden. Ich hatte ja schon berichtet, dass ich mit meinen zwei besten Freundinnen und Spike, dem Kater, sehr gut klar komme. Mittlerweile macht es mir nicht mehr so viel aus, dass viele andere mir oft ablehnend gegenüber stehen. Die frechen Jungs im Schulbus, die mich vor einigen Monaten ständig als „Heulsuse“ beschimpft haben, haben damit aufgehört und sich andere Opfer gesucht.

Das alles habe ich meiner Klassenlehrerin Frau Müller zu verdanken. Sie bestärkt mich darin, so zu sein, wie ich bin und fördert meine Talente. Wir sind auf einer Wellenlänge und deshalb verstehen wir uns so gut.

Momentan sind besondere Corona-Zeiten und Weihnachten steht vor der Tür. Vieles, was die meisten Menschen mit Weihnachten verbinden, fällt dieses Jahr aus. Ich finde es auch seltsam, dass es keinen Weihnachtsmarkt gibt. Mir war es in den letzten Jahren zwar oft zu überfüllt und zu laut dort, aber trotzdem mochte ich die weihnachtlichen Gerüche, die bunt geschmückten Tannenbäume und, als ich noch jünger war, den verkleideten Weihnachtsmann, der Süßigkeiten an die Kinder verteilt hat.

Meine Mutter beschwerte sich neulich darüber, dass sie sich dieses Jahr nicht mit ihren Freundinnen am Glühwein-Stand treffen kann, so wie es eben in ihrem Freundeskreis Tradition sei. Viele haben ihre Gewohnheiten während der Pandemie ändern müssen und das hat diese Welt nicht freundlicher gemacht. Weil ich immer viele Stimmungen von meinen Mitmenschen aufnehme, spüre ich bei einigen schon eine Art Verzweiflung, weil nichts mehr so ist wie gewohnt. Das macht mich dann selber traurig.

Trotzdem meine Eltern und mein Bruder oft jammern, gibt es manchmal schöne, vertraute Familienmomente. Gestern haben meine Mutter und ich zusammen Plätzchen gebacken und sogar Leon hat eine halbe Stunde mitgemacht. Dann war sein Computerspiel wieder wichtiger. Als Leon wieder in seinem Zimmer verschwunden war, haben meine Mutter und ich uns richtig unterhalten, während wir Teig ausrollten und die Plätzchen verzierten. Sonst ist eher so, dass meine Mutter Monologe hält und nicht wirklich daran interessiert ist, die Sichtweise ihres Gegenübers zu erfahren.

Ich wünsche mir zu Weihnachten ein Keyboard und Unterricht nächstes Jahr. Natürlich finde ich ein echtes Klavier aus Holz viel schöner, aber das würde weder in unsere Wohnung noch zu dem Weihnachtsgeschenke-Budget meiner Eltern passen. Dass ich mir ein Keyboard ausgesucht habe, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich mein Wunsch, richtig Noten lesen zu lernen und selbst Lieder zu spielen, erfüllen könnte. Musik ist neben meiner Leidenschaft für Geschichten ein Ausgleich für alles Anstrengende, was in der Schule und außerhalb meines Kinderzimmers passiert.

Wenn ich abends im Bett liege, träume ich davon, dass ich, wenn ich erwachsen bin, Autorin oder Musikerin werde und mich den ganzen Tag mit Kunst, Phantasie, Ideen und deren Umsetzung beschäftigen kann. Ich wünsche mir dann eine eigene Familie und Freunde, die so ähnlich denken. Natürlich ist mir klar, dass ich trotzdem einkaufen, kochen und meine Rechnungen bezahlen muss. Mittlerweile bin ich ein wenig skeptisch geworden, ob die Art, wie meine Eltern leben, das Einzige und Richtige ist. Frau Müller hat mich ermutigt, meine Träume zu verfolgen, auch wenn viele andere nichts damit anfangen können. Sie sagte, es sei kein Gradmesser, was die meisten tun, es sei wichtig, seinem eigenen Herzen zu folgen.

Letztes Wochenende habe ich mich darüber mit meiner Nachbarin Marie unterhalten. Wir haben uns draußen getroffen. Sie war auf dem Weg zum Supermarkt und ich wollte zu meiner Freundin Anna.

Hallo Marie.“

Hallo Hannah, wie geht es Dir?“

Danke, mir geht es gut. Darf ich Dich etwas fragen?“

Na klar, wenn ich es beantworten kann, gerne.“

Bist Du mit Deinem Beruf und der Art, wie Du lebst, zufrieden?“

Lass uns ein Stück zusammen gehen, wenn Du magst“, antwortete Marie, „diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Ja, ich mag meinen Beruf, aber wäre ich, als ich jünger war, mutiger gewesen, hätte ich eventuell auch etwas anderes gemacht. Im Laufe der Jahre habe ich mich durch Weiterbildungen innerhalb meines Berufes in die Richtung entwickelt, die mir ganz gut entspricht, also bin ich meistens zufrieden mit dem, was ich tue. Es entwickelte sich im Laufe der Zeit.“

Meine Eltern sagen immer, ich sollte, wenn ich mit der Schule fertig bin, am besten eine Ausbildung in einer Verwaltung machen, weil das ein sicherer Job sei. Ehrlich gesagt, finde ich diese Idee ziemlich langweilig und es schnürt sich bei mir innerlich alles zusammen, wenn ich versuche, mir das vorzustellen.“

Dann solltest Du unbedingt etwas anderes tun. Es ist immer gut, Sachen auszuprobieren, zum Beispiel durch Praktika. Bei uns in der Firma haben wir öfter Praktikanten. Wenn Du etwas älter bist, hast Du ja auch die Möglichkeit, Hannah. Die Tochter von meiner Cousine hat zum Beispiel nach zwei Semestern das Studienfach gewechselt, weil sie gemerkt hat, dass es nicht zu ihr passte.“

Und sonst? Ich habe Dich öfter mit diesem Mann zusammen gesehen. Bist Du gerade glücklich?“

Marie schmunzelte wegen dieser direkten Frage. „Ja, ich bin glücklich. Manchmal zweifele ich, ob alles, was gerade in meinem Leben ist oder passiert, richtig ist, aber das geht, glaube ich, allen so. Christian und ich streiten uns manchmal und wir vertragen uns aber auch schnell wieder.“

Ich war noch nie verliebt, aber ich bin ja erst 12 Jahre alt. Wahrscheinlich wird sich sowieso kein Junge für mich interessieren, weil ich anders bin als die anderen Mädchen.“

Das glaube ich nicht. Dir wird bestimmt irgendwann ein Junge über den Weg laufen, der Dich genau deswegen mag, weil Du bist, wie Du bist. Wenn alle Menschen gleich oder ähnlich wären, wäre das Leben ganz schön langweilig, oder?“

Danke, dass Du mir Mut machst. Ich mag Deinen Christian und Spike mag ihn auch. Ich muss hier abbiegen und besuche gleich meine Freundin. Sie war übrigens schon einmal verliebt, aber nur kurz.“

Marie lächelte Hannah freundlich an: „Alles klar, Hannah. Ich wünsche Dir einen schönen Nachmittag mit Deiner Freundin. Als ich so alt war wie Du, fand ich es immer spannend, mir mit meiner besten Freundin auszudenken, welcher tolle Junge uns wohl über den Weg laufen würde. Ich gehe jetzt einkaufen. Heute Abend besucht mich Christian und wir kochen zusammen. Ich finde, wir sollten trotz der schwierigen Zeiten, immer die schönen kleinen Momente genießen, zum Beispiel beim Kochen oder bei einem Treffen mit der besten Freundin, was meinst Du, Hannah?“

Ja, das stimmt. Ich wünsche Euch, dass ihr das mit dem Kochen heute Abend gut hinkriegt und nichts anbrennt. Tschüss, Marie,“

Tschüss, Hannah, bis bald. Und erzähle mir doch demnächst einmal eine von Deinen Geschichten.“

Marie ist wirklich nett. Sie hat wohl ihren Traummann gefunden, auch wenn sie sich manchmal streiten.

Ob ich Marie wohl eine von meinen Geschichten zeigen kann? Wird sie mich auslachen, wenn sie von den Weihnachtsfeen, Zauberern und tanzenden Lichtern liest, die ich mir ausdenke? Andererseits lesen manche Erwachsene die Harry Potter-Bücher. Ab dem 18. Lebensjahr wird die Phantasie wohl nicht plötzlich absterben, obwohl bei meinen Eltern anscheinend genau das passiert ist.

Damit habe ich noch einen Weihnachtswunsch gefunden, der gar kein Geld kostet. Ich schicke diesen Wunsch, noch mehr phantasievolle Menschen kennenzulernen, die mich wegen meiner Geschichten und Ideen nicht auslachen, die selber kreativ sind und die Dinge tun, die sie lieben, einfach so in Gedanken irgendwo hin. Ich bin gespannt, wo dieser Wunsch ankommen und ob er sich erfüllen wird.


Coldplay: Christmas Lights





Fortsetzung folgt

Sonntag, 6. Dezember 2020

#004.10 – Marie – Nikolaustag

 

#004.10 – Marie – Nikolaustag


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie
sich der zweite Lockdown in der Vorweihnachtszeit anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Nikolaustag

Der Advent war allgegenwärtig. Auch wenn dieses Jahr alles anders war als in den Jahren zuvor, erstrahlte die Stadt im Glanz der Weihnachtsbeleuchtung. Vor der kleinen Einkaufspassage war ein Weihnachtsbaum mit bunten Kugeln aufgestellt worden. Allerdings fehlten die Glühweinstände und weniger Menschen als im letzten Jahr waren unterwegs.

Marie arbeitete teilweise von zu Hause aus, was sich ungewohnt anfühlte. Sie vermisste die Treffen mit ihren Freundinnen bei weihnachtlicher Dekoration in gemütlicher Runde. Jetzt gab es natürlich das Telefon, aber keine Möglichkeit, zum Beispiel den leckeren Stollen von Regine zu essen und sich dabei über dies und das auszutauschen. Auch die Kontakte zur Familie waren sehr reduziert, da Marie ältere Familienmitglieder nicht gefährden wollte. Der traditionelle weihnachtliche Familien-Restaurantbesuch am ersten Weihnachtstag nebst Austausch von kleinen Geschenken würde dieses Jahr ebenfalls ausfallen. Fast das ganze Leben spielte sich in dem kleinen häuslichen Rahmen ab.

Vielleicht werden wir, wenn das Virus die Welt weiterhin so stark im Griff hat, zu Einsiedlern und gehen am Ende, wenn es wieder möglich ist, gar nicht mehr ins Kino, Theater oder ins Restaurant“, dachte Marie.

Marie und Christian hatten sich in den letzten Monaten ihre eigene kleine Welt erschaffen. Sie hatten viele neue Kochrezepte ausprobiert, einige interessante Filme geschaut, Spaziergänge in der näheren Umgebung unternommen, viel geredet, gekuschelt und Zweisamkeit genossen. Letzteres empfand Marie als besonders intensiv, da äußere Ablenkung fast gar nicht mehr vorhanden war.

Am 5. Dezember hatte Christian neben der üblichen Schokoladenfigur ein besonderes Geschenk heimlich in Maries Winterstiefel gesteckt.

Am Nikolaustag schlich Marie morgens, während Christian noch schlief, zu ihrem kleinen Schuhregal, weil sie sehr neugierig war. Der Nikolaus aus Schokolade grinste sie unverschämt gut gelaunt an, so als wüsste er gar nicht, dass dieses Jahr nichts so war wie gewohnt. Marie zog die Figur aus dem Schuh und darunter befand sich ein ein kleines Kästchen, in wunderschönem Papier mit aufgedruckten Sternen eingepackt. Vorsichtig entfernte Marie das Papier und öffnete das Kästchen. Darin lag eine feine Kette mit einem Mond-Anhänger auf einem kleinen blauen Samtkissen und ein zusammengefalteter Zettel.

Liebe Marie, wenn unsere gemeinsame Welt wieder etwas größer wird, lade ich Dich ins Planetarium ein. Ich möchte mit Dir andere Galaxien entdecken und schlichtweg durch das unendliche Weltall fliegen. Alle Welten, der kleine Kosmos zu Hause und alles, was darüber hinaus geht, sind viel schöner, wenn Du bei mir bist. Ich liebe Dich, Christian

Marie war sprachlos. So etwas Schönes hatte sie noch nie geschenkt bekommen. Natürlich hatte sie einmal erwähnt, dass sie das Planetarium in der nächsten größeren Stadt liebte, aber hatte nicht damit gerechnet, dass Christian sich das merken würde. In ihrer Wahrnehmung hatte sie es eher beiläufig erwähnt. Innerlich tief bewegt betrachtete sie die feine Kette mit dem Mond.

Guten Morgen“, Christian stand etwas verschlafen mit leicht zerzaustem Haar im Flur, „gefällt es Dir, was der Nikolaus für Dich in den Stiefel gelegt hat?“

Es ist unglaublich schön und wir gehen sofort ins Planetarium, wenn es wieder geöffnet hat, oder?“, Maries Stimme war etwas atemlos.

Na klar, mein Schatz, sofort“, er grinste und umarmte sie.

Was meinst Du zu Kaffee?“, fragte sie.

Vielleicht später ...“, war seine gemurmelte Antwort.

Sehr viel später brachen Marie und Christian Hand in Hand zu einem Spaziergang auf. Draußen war es ruhig und Spike kam hinter einem Baum hervor.

Guten Morgen, Spike“, begrüßte Marie den Kater und hockte sich zu ihm, „ich wünsche Dir auch einen schönen Nikolaustag.“

Spike schnurrte und spitzte die Ohren.

Ich glaube, er versteht alles, was wir ihm erzählen.“

Wahrscheinlich hast Du recht“, antwortete Christian und nahm wieder Maries Hand.

Frau Schulze schaute gerade griesgrämig aus ihrem Küchenfenster und beobachtete die Szene neugierig.

Wir lassen uns die Stimmung nicht vermiesen, oder? Es gibt trotz des Lockdowns und der vielen Herausforderungen so viel Ermutigendes. Lass uns die Welt gemeinsam zu einem schöneren Ort machen“, meinte Marie und lief mit Christian in die Richtung des nahe liegenden Waldes.

Coldplay: A Sky Full Of Stars (from Ghost Stories Live 2014)

Fortsetzung folgt

Anmerkung der Autorin:

Für G.: 

Schön, dass es Dich gibt! :-*

Sonntag, 15. November 2020

#001.2 Spike – Der Blickwinkel eines alten Katers

 

#001.2 Spike – Der Blickwinkel eines alten Katers

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Spike, wie
sich der zweite Lockdown im Herbst anfühlt.
Spike ist der Hauskater von allen Bewohnern und lebt überall
auf dem Gelände der Hausgemeinschaft.

Der Blickwinkel eines alten Katers



Heute melde ich mich wieder einmal zu Wort und erzähle Euch, wie ich meine menschlichen Mitbewohner gerade erlebe.

Die alte Dame, deren Haare aussehen wie gedrehter Draht, redet seit ein paar Wochen vor sich hin. Sie hat vorher auch mit sich selber gesprochen, da die anderen Nachbarn immer schnell verschwinden, wenn sie irgendwo auftaucht, aber ich beobachte, dass es sich gesteigert hat, auch die Lautstärke. Die menschliche Sprache verstehe ich natürlich nicht, ich nehme eher die Schwingungen zwischen den Worten und hektische Handlungen wahr. Ihre gewohnte Welt, die vorher auch nicht perfekt war, ist komplett aus den Fugen geraten. Manchmal beruhigt sie sich, wenn sie mit mir spricht und mich krault. Ein Leckerli hat sie meistens dabei und steckt es mir zu. Danach erhebt sie meistens wieder ihre Stimme und schimpft lautstark über irgendetwas und geht wieder unruhig und unglücklich in ihre Wohnung zurück.

Das kleine Mädchen und ich sitzen oft gemeinsam auf der Kellertreppe und schweigen einvernehmlich. Das tut meiner alten Katerseele gut. Sie muss auch gar nichts sagen, ich verstehe auch so, was in ihr vorgeht. Sie hat es ebenfalls bemerkt, dass sich vieles innerhalb von kurzer Zeit verändert hat. Summend und träumend läuft sie manchmal durch das Treppenhaus und kann es kaum erwarten, nach draußen in die Natur zu gehen. Sie mag wie ich die Stille, das Rauschen der Blätter in den Bäumen, knorrige Muster auf Baumstämmen, kleine Käfer, die gemächlich des Weges krabbeln und Sonnenstrahlen, die Bilder aus Licht und Schatten auf das Gras oder die Steine zaubern.




Die Natur hat sich verändert. Es ist weniger nass und wärmer als in meiner Zeit als junger Kater. Wärme mag ich, weil mir meine alten Knochen dann weniger weh tun. Allerdings vermisse ich den Geruch von feuchtem Gras und Baumholz, der mir mittlerweile selten in die Nase weht. Es geht mir vielleicht ein wenig wie der alten grummeligen Dame, mir fehlt etwas liebgewordenes Vertrautes, statt dessen riecht es oft staubig und ich muss dann niesen.

Die blonde Frau summt wie das kleine Mädchen seit einiger Zeit im Treppenhaus vor sich hin und ihre Augen strahlen meistens intensiv blau. Sie ist ab und zu mit einem Mann unterwegs, der nicht dauerhaft hier wohnt. Sie halten sich oft an den Händen und schauen sich intensiv an, so als teilten sie ein Geheimnis miteinander, von dem kein anderer Mensch oder Kater jemals erfahren wird. Manchmal, wenn ich in der Sonne auf den warmen Steinen liege, denke ich auf meine Katerart darüber nach, um welches Geheimnis es sich wohl handeln könnte? Es ist schön, die beiden zu beobachten und sich daran – so ähnlich wie an warmen Sonnenstrahlen – zu erfreuen, soviel ist sicher.



Der Nachbar, der sich oft etwas zu essen bestellt und immer sehr viele Pappkartons und Plastikverpackungen zum Müllcontainer trägt, schaut mich in letzter Zeit gar nicht mehr an. Er lebt in einer Art Tunnel, glaube ich, schaut weder nach rechts noch nach links. Er wirkt wie die alte Dame sehr unzufrieden und verzweifelt. Meistens hält er sich in seiner Wohnung auf. Früher ist er wie die blonde Frau jeden Morgen weggefahren und kam abends zurück. Wahrscheinlich geht es ihm wie mir. Ich halte es in geschlossenen Wohnräumen auch nicht lange aus bzw. bekomme dort schlechte Laune. Es ist gut, ab und zu draußen zu sein, die Gegend zu erkunden und auf Mäusejagd zu gehen, auch wenn ich dabei erfolglos bin. Die Mäuse sind einfach zu schnell für mich. Ich weiß, da draußen tun die Menschen andere Dinge als alte Kater, aber ich glaube, im Prinzip ist es das Gleiche.

Viele meiner Mitbewohner sind jetzt öfter zu Hause als früher. Manche schauen deswegen sehr griesgrämig drein, andere scheinen es zu genießen und wirken entspannter als noch vor einiger Zeit. Es sind gerade unbeständige und unruhige Zeiten für die Menschen. Wer weiß, wie lange ich mir dieses Treiben in meinem Revier noch ansehen darf, aber ich genieße jeden einzelnen Tag und jeden Sonnenstrahl wie ein Geschenk.

Pat Metheny: If I Could


Anmerkung der Autorin:

Diese Geschichte widme ich der Mutter meiner besten Freundin und einer geschätzten Autorinnen-Kollegin, die sich wieder eine Geschichte von Spike gewünscht hat.


Sonntag, 8. November 2020

#004.9 Marie – Weihnachtsplanung für die Katz?

 

#004.9 Marie – Weihnachtsplanung für die Katz?


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie
sich der zweite Lockdown im Herbst anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Weihnachtsplanung für die Katz?


Die Phase des zweiten Lockdowns hatte begonnen. Wieder waren die Restaurants und Cafés geschlossen. Die Einkaufsmeile der Stadt, in der Marie lebte, war tagsüber wie ausgestorben. Nur vereinzelt liefen ein paar Menschen mit Einkaufstüten die Fußgängerzone entlang. Die Geschäfte hatten geöffnet, allerdings war eine Kaffeepause beim Bäcker oder im Café nicht drin. Es wirkte ein wenig gespenstisch.

Marie hatte abends die Routinen des ersten Lockdowns wieder aufgenommen. Wenn sie nach der Arbeit zu Hause angekommen war, rief sie regelmäßig ihre Lieblings-Kochsendung in der Mediathek auf und entspannte sich dabei, Hobbyköchen zuzusehen. Für sie war es die ideale Ablenkung, weil Kochen so weit weg vom Virus war. Dabei gab es andere Herausforderungen als Infektionsketten oder R-Wert. Einzig und allein zählte, ob der Fisch auf den Punkt gegart oder die Pasta al dente gekocht war.

Marie überlegte außerdem, ob sie demnächst ihren Kleiderschrank entrümpeln sollte. Ihre Freundinnen äußerten ähnliche Gedanken am Telefon. An einen Freundinnen-Abend im Lieblings-Bistro war momentan nicht zu denken, deshalb kam das Telefon wieder verstärkt zum Einsatz.

Christian durchlebte gerade eine herausfordernde berufliche Phase und war oft angespannt und gereizt.

Marie reflektierte oft darüber, wie anders alles noch vor zwölf Monaten gewesen war. Im Dezember letztes Jahr hatte sie noch mit ihrer besten Freundin Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt getrunken und sich dazu hinreißen lassen, Weihnachtsdekoration, die sie gar nicht brauchte, an einem Stand nebenan zu kaufen. Dieses Jahr würde es wahrscheinlich gar keinen Weihnachtsmarkt geben.

Allerdings würde sie Weihnachten mit Christian feiern. Er war letztes Jahr noch nicht in ihrem Leben gewesen. Marie träumte davon, Heiligabend das schöne rote Kleid anzuziehen, das die gleiche Farbe wie Rotwein hatte. Außerdem könnten sie ein tolles Essen kochen und komplett „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky hören, für Marie die ultimative Musik zu Weihnachten. Vielleicht würde auch alles ganz anders kommen. Seit das Virus sein Unwesen trieb, war Flexibilität in allen Lebenslagen angesagt, die eine oder andere Planung in den letzten Monaten hatte sich einfach in Luft aufgelöst.



Maries Telefon klingelte, es war Christian.

Hallo Liebste“, begrüßte er Marie, „wie war Dein Tag?“

Alles im grünen Bereich“, antwortete sie, „vielleicht werde ich demnächst im Home Office arbeiten. Das wurde heute besprochen.“

Das ist doch angesichts der Infektionszahlen nur vernünftig. Alle sollten momentan einen Gang zurückschalten, finde ich.“

Kommst Du nachher noch vorbei? Wir könnten uns überlegen, wie wir Weihnachten feiern wollen. Ich habe schon ein paar Ideen“, sagte Marie.

Ich arbeite noch und es wird auch noch dauern, tut mir leid, aber morgen gerne. Weihnachten ist für mich irgendwie noch so weit weg. Wer weiß, was uns alle Ende Dezember erwartet. Ich brauche gar keinen Weihnachtsbaum und das Ganze drumherum. Wichtig ist, dass Du bei mir bist, auch wenn wir nur gemütlich auf dem Sofa eine Pizza essen.“

Marie lächelte bei seinen Worten. Er hatte natürlich absolut Recht. „Also halten wir es wie in den letzten Monaten und lassen alles gemächlich auf uns zukommen. Du bist so ein kluger Mann“, sagte Marie, „dann halte ich Dich auch nicht weiter von Deiner Arbeit ab. Wir sehen uns morgen.“

Gut, mein Schatz, Bis morgen, ich liebe Dich, nicht vergessen!“

Wie könnte ich das vergessen. Wir schaffen das. Schlaf schön und träume von mir“, Maries Stimme war auf einmal sehr leise.

Das mache ich“, war Christians Antwort, „Dir wünsche ich auch schöne Träume.“

Was habe ich nur für ein Glück“, dachte Marie, „er ist der richtige Mann, mit dem ich auch schwierige Phasen gut durchstehen kann.“

Sie widmete sich noch ihrem Abwasch und wollte noch einem Nachbarn eine Zeitung, die sie ihm versprochen hatte, in den Briefkasten werfen. Bei den Briefkästen traf sie Hannah und Spike. Hannah hockte auf dem Boden und kraulte Spike hinter den Ohren.

Hallo Hannah, wie geht es Dir? Hast Du auch schon an Weihnachten gedacht?“ fragte Marie.

Ja, ich wünsche mir ein Keyboard und dass wir nächstes Jahr im Unterricht nicht mehr diese Mund-Nasen-Masken tragen müssen. Leider bekomme ich dadurch sehr schlecht Luft“, antwortete Hannah, „und was wünschst Du Dir?“

Weltfrieden“, war Maries schnelle Antwort, „nein, im Ernst, ich wünsche mir, dass es bald eine gute Strategie gibt, mit dem Virus umzugehen und wieder mehr sogenannte „Normalität“, aber in einer besseren Version.“

Ich verstehe, was Du meinst. Wir werden sehen, aber ein Keyboard wäre schon toll.“

Meine Daumen sind gedrückt, dass Du es bekommst. Einen schönen Abend und lasse Dich nicht unterkriegen.“

Mache ich nicht“, sagte Hannah nachdenklich. Spike spitzte die Ohren und lauschte dem Rascheln im Busch neben den Stufen. Dort war wahrscheinlich eine Maus, die er in seinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr fangen würde.

Marie nickte den beiden freundlich zu und freute sich auf einmal wie ein Kind auf Weihnachten.

Till Brönner: Space Oddity



Fortsetzung folgt


Sonntag, 1. November 2020

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein

 

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie sich der
Beginn des zweiten Lockdowns im  Herbst anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Lockdown und Rotwein



Marie und Christian hatten einen schönen intensiven Sommer erlebt. Die Welt war aus der Erstarrung des ersten Pandemie-bedingten Lockdowns erwacht und viele Möglichkeiten taten sich auf einmal auf.

Auf der Wiese in der Sonne sitzen, abends ein schönes Essen mit Weißwein-Schorle beim Lieblings-Italiener genießen und ein verlängertes Wochenende wegfahren, all das war wieder möglich gewesen, natürlich unter Einhaltung von Hygieneregeln und Abstand.

Marie und Christian waren nach wie vor sehr verliebt, hatten aber auch einmal einen richtig großen Streit zwischendurch erlebt. Dabei ging es, wie so oft, um noch nicht bewältigte Altlasten aus vorangegangenen Beziehungen.

Jetzt hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Fallzahlen der Erkrankungen stiegen wieder an und die Verfechter des alten Denkens „früher war alles besser, wir wollen unser altes Leben zurück“ schrien immer lauter und grotesker. Die Welt war in Steckenbleiben im überholten Schlamm und Aufbruch gespalten. Die Lager gingen dabei wenig versöhnlich miteinander um.

Die Nachrichten-App auf Maries Handy teilte ihr mit, dass die Entwicklung extrem ungünstig verlief und in ein paar Tagen wieder große Teile des öffentlichen Lebens heruntergefahren werden sollten.

Wenigsten bleiben die Friseure dieses Mal geöffnet“, dachte Marie leicht grummelig, als sie die Verordnungen durchlas. Im Prinzip wurde alles, was Spaß machte – zum Beispiel Restaurant-, Theaterbesuche, Sportveranstaltungen, geschlossen. Die Schulen und Kitas sollten geöffnet bleiben und die Geschäfte ebenfalls.

Der Wochenendeinkauf vor den erneuten Maßnahmen fühlte sich wieder sehr seltsam an, auch dieses Mal gab es Lücken in den Regalen. Als Marie mit ihrem gut gefüllten Einkaufswagen in der Schlange an der Kasse wartete, arbeitete es in ihrem Kopf. Nein, sie wollte sich von all dem nicht herunter ziehen lassen, auf gar keinen Fall. Hier gab es viele Luxus-Probleme, natürlich auch sehr reale harte Herausforderungen, wie zum Beispiel drohender oder echter Jobverlust, Angehörige in Pflegeheimen, die zu vereinsamen drohten und natürlich das, was über allem schwebte, der Kollaps des Gesundheitssystems.

Maries Telefon brummte.

Hallo Liebster“, begrüßte Marie Christian, „soll ich auch gleich zehn Pakete Nudeln mehr kaufen, weil die Welt untergeht?“

Christian lachte am anderen Ende der Leitung. „Nein, lass das mal. Aber bring doch einen guten Rotwein mit. Die Franzosen haben während des ersten Lockdowns im Frühjahr ziemlich viel Wein konsumiert und Liebe gemacht. Vielleicht sollten wir an diese Idee anknüpfen, was meinst Du?“

Tolle Idee“, sagte Marie und dachte an die wunderschönen Nächte mit Christian, „wir können es uns wieder zu Hause gemütlich machen und zum Beispiel heute Abend Rotwein trinken?“

Ich weiß, Du kannst gerade nicht so frei sprechen, aber mir schweben noch ein paar schöne Dinge vor, außer Wein trinken“, erwiderte er. Marie konnte sich sein Lächeln in diesem Moment sehr lebhaft vorstellen.

Es ist halt wie mit Beton, es hängt davon ab, was man daraus macht“, war Maries philosophische Antwort mitten im Gewühle vor der Supermarktkasse mit einem hohen Anteil an verängstigten und grimmigen Kunden, „ich besorge uns die besonders gute Weinsorte aus Italien und noch den passenden Käse dazu. Falls es uns morgen dahin raffen sollte, haben wir zumindest vorher einen tollen Abend erlebt.“

Alles klar, ich freue mich, auf den leckeren Wein und Käse und ganz besonders auf Dich“, war Christians Antwort, „bis später.“

Ja, bis später“, sagte Marie.

Später zu Hause trug sie ihre Einkäufe in Richtung Haustür. Den Kater Spike ließ die ganze Situation mal wieder vollkommen unberührt. Er saß einfach auf den Steinen neben herunter gewehten bunten Blättern und beobachtete konzentriert, was passierte. Marie stellte die Taschen ab und begrüßte ihn.

Hallo Spike, mal sehen was dieser Lockdown bringt, oder was meinst Du dazu?“ Keine Antwort von dem Kater, nur ein weiser Blick.

Beschwingt ging Marie ins Haus und freute sich auf einen schönen Abend.

grover washington jr: In the name of love


Fortsetzung folgt

Anmerkung der Autorin:

Mit dem neuen Lockdown ist auch Marie zurück. Der erste Teil entstand, weil ich eine „richtige“ Kurzgeschichte für eine Lesung zu schreiben wollte (die letzte Lesung vor dem ersten Lockdown übrigens), mit allen Kriterien, die eine Kurzgeschichte per Definition ausmachen. Daraus hat sich im Nachgang bei den folgenden Beiträgen eine Betrachtung der Corona-Lage entwickelt. Die Figur Marie ist mir beim Schreiben im Frühling sehr ans Herz gewachsen, die Figur Christian hingegen hat wegen des Corona-Themas weniger Kontur abbekommen. In Hinblick auf ein geplantes Buch, darf die Figur Christian noch einige neue Aspekte erhalten. Ich bin selbst gespannt, wie es sich entwickeln wird.


Sonntag, 25. Oktober 2020

#006.7 – Sarahs Tagebuch – Poesie

 #006.7 – Sarahs Tagebuch – Poesie

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und 
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibt Sarah wieder in ihr Tagebuch.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.


Ende Oktober – Poesie




Liebes Tagebuch,

heute habe ich ein kleines Gedicht für Dich :-)

Im Herbstwald

Die bunten Blätter schweben
langsam und gemächlich im Wind
dem Waldboden entgegen
und sind
so schön anzusehen.


 

Mit den alten Schuhen durch Blätterhaufen
laufen,
und ab und zu innehalten und
verschnaufen.
Wer hat jetzt die Assoziation zu:
demnächst wieder Glühwein …..........?

Das Jahr ist irgendwie rum
und irgendwie auch nicht.
Hat das in einer bestimmten Weise Gewicht?
Wir leben jetzt und hier,
nicht in der Zukunft am Glühweinstand.
Der in unserer Lebenssanduhr
enthaltene Sand
rinnt still
Körnchen um Körnchen
an der schmalsten Stelle.
Die Körnchen dort sind zu beachten,
alles andere ist nicht relevant.

Die Körner oben sind die Zukunft,
wer weiß schon, was sie hält bereit?
Die Körner unten sind die Vergangenheit,
tot, kalt und nicht mehr zu ändern.
Die schmale Stelle in der Mitte:
Das ist das Jetzt,
in dem das Leben passiert.
Leider wird diese tiefe Wahrheit
oft ignoriert.

So laufe ich weiter durch den Wald
durch noch mehr raschelnde Blätterhaufen.
Menschen und Hunde,
die rennen, kläffen und raufen,
begegnen mir
an der einen oder anderen Stelle hier.
Fühle mich wie neu,
in dieser bunten Blätter-Zauberwelt
in der Nase der Geruch nach Waldboden und Moos,
die kleinen Dinge, nein Körnchen, des Alltags sind so groß. 



Erst einmal Ende von Sarahs Tagebuch

Sonntag, 18. Oktober 2020

#006.6 – Sarahs Tagebuch – Dialoge

 

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibt Sarah wieder in ihr Tagebuch.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.

Mitte Oktober – Dialoge


Liebes Tagebuch,

dieses Wochenende hatte ich einen Online-Kurs 'kreatives Schreiben' gebucht.

Tagebuch schreiben bringt mir immer mehr Spaß und wer weiß, vielleicht veröffentliche ich irgendwann ein Buch?

Ein Thema dieses Kurses lautete „Dialoge“.

Dialoge bringen die Handlung voran“, hatte die Dozentin erklärt, „außerdem wird die Handlung für den Leser lebendiger und greifbarer.“

Als kleine Übung hatte ich einen typischen Dialog mit meinem inneren Schweinehund aufgeschrieben. Der kam bei der Dozentin und anderen Teilnehmern gut an. Hier ist ein kleiner Auszug daraus:

Sarah: „Es ist Sonntag 11.30 Uhr. Ich sollte jetzt wirklich aufstehen und etwas Produktives tun.“

Schweinehund: „Bist Du wahnsinnig? Du hast heißen Kaffee und noch ein halbes Brötchen auf dem Tablett neben Deinem Bett. Wieso – um alles in der Welt – möchtest Du diesen warmen und kuscheligen Ort verlassen?“

Sarah: „Irgendwie stimmt es ja, aber ….. was ist mit der Wäsche, die noch gebügelt werden müsste? Oder der Abwasch, der noch zu erledigen ist? Hast Du eine Idee, wer das tun könnte?“

Schweinehund: „Das ist vollkommen unwichtig. Für die nächsten Tage gibt es genügend Kleidung in Deinem Schrank und der Abwasch kann warten. Die Teller und Tassen werden nicht weglaufen.“

Sarah: „Du hast ja so recht. Was soll ich da draußen in der Kälte? Wenn ich mir vorstelle, nur meinen großen Zeh unter meiner Decke nach draußen zu strecken, läuft es mir schon eiskalt den Rücken herunter. Aber ….“

Schweinehund: „Kein „Aber“. Alles ist gut, so wie es ist.“

Sarah: „Und wenn ich etwas Tolles verpasse? Ich könnte eine Radtour machen, Kastanienmännchen basteln oder Gitarre spielen.“

Schweinehund: „Was für ein Quatsch! Es war eine anstrengende Woche. Das alles tut Dir nicht gut.“

Sarah: „Ich wollte bis gestern unbedingt Kastanienmännchen basteln und meine Deko damit ergänzen. Bewegung ist super und meine Gitarre entführt mich immer in unbekannte Musik-Welten. Was sagst Du dazu, Du Schweinehund?“

Schweinehund: „Bewegung wird überbewertet, Kastanienmännchen sind komplett überflüssig und Musik-Welten kannst Du an einem anderen Tag entdecken. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

Sarah: „Dann einigen wir uns auf einen Kompromiss. Ich starte jetzt eine entspannte CD und fülle in der Küche noch Kaffee nach. Wenn die CD zu Ende ist, stehe ich auf und werde alle diese Dinge tun.“

Schweinehund: „Mach das und wir werden sehen, wer im Endeffekt am längeren Hebel sitzt.“

Ende offen ….


So, liebes Tagebuch, jetzt könnten wir beide - als Schreibübung für mich - einen Dialog beginnen. Was meinst Du?

Tagebuch: „Okay, Sarah. Worüber wollen wir uns unterhalten an diesem Sonntag im Oktober? Gibt es etwas, was Dich aktuell beschäftigt?“

Ich: „Ja, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.“

Tagebuch: „Versuche es einfach, ich habe Zeit.“

Ich: „Danke für die Geduld. Geduld für das Zuhören haben andere Menschen meistens nicht. Das ist schon ein Teil dessen, was mich gerade beschäftigt.“

Tagebuch: „Versuche doch einmal zu erklären, worüber Du genau gerade nachdenkst.“

Ich: „Manchmal denke ich, dass ich nicht in diese Welt gehöre. Alles ist so laut und grell, es gibt keine Zeit für inneres Wachstum sondern nur das Zeigen von Status ist anscheinend wichtig.“

Tagebuch: „Hast Du ein Beispiel?“

Ich: „Vor einigen Wochen hatte mich ein Mann, der an mir interessiert war, zum Essen eingeladen. Ich dachte zumindest, dass er an mir als Person interessiert war. Während unseres Treffens redete er ohne Punkt und Komma nur über sich, seinen beruflichen Erfolg, sein großes Haus und so weiter. Ich kam als Individuum gar nicht vor, eher meine äußeren Merkmale, meine Figur und Haarfarbe. Er hielt einen Monolog, weil ich höflich bin und ihn nicht unterbrach. Es war echt seltsam. Nach dem Essen hat er mich nach Hause gebracht, natürlich mit seinem Riesenauto. Es fühlte sich irgendwie leer an.“

Tagebuch: „Wolltet Ihr Euch wiedertreffen?“

Ich: „Nein, ich habe ihm am nächsten Tag höflich geschrieben, dass es für mich nicht passt und den Kontakt beendet.“

Tagebuch: „Dann ist doch alles gut.“

Ich: „Es ist für mich ein Beispiel von vielen. Das Echte scheint oft nicht mehr zu existieren, zumindest für die meisten. Häuser und Autos sind wichtiger. Wo ist in dieser Welt mein Platz? Manchmal kann ich Brücken bauen, das gelingt aber meistens nicht, weil es so wenig Resonanz dafür gibt und alles so hektisch und laut ist.“

Tagebuch: „Hast Du bei dem Treffen mit diesem besagten Mann versucht, Brücken zu bauen?“

Ich: „Ja, natürlich. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass in ihm etwas arbeitete, weil ich meine Meinung zu bestimmten Themen geäußert habe, sofern ich zu Wort kam.“

Tagebuch: „Welche Themen?“

Ich: „Das Thema körperliche Begegnung zwischen zwei Liebespartnern. Meine Meinung ist, dass nur eine Bindung diese Begegnung erfüllend gestalten kann. Ohne Bindung gibt es aus meiner Sicht nur einen leeren, mechanischen Vorgang. Dem hat er sogar zugestimmt, wirkte aber etwas ratlos. Dann hat er schnell wieder das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt: Auf Dessous, die er bei Frauen heiß findet und auf vermeintlich wichtige Leute, die er kennt .“




Tagebuch: „Ach so, dieses Thema. Männer denken darüber wahrscheinlich wirklich anders als Frauen. Aber ich bin ja nur ein Buch aus Papier und kann das nicht beurteilen.“

Ich: „Das mag sein.“

Tagebuch: „An Deiner Stelle würde ich einfach nach Menschen Ausschau halten, die mehr zu bieten haben als nur ihren Besitz. Besitz ist an sich nichts Verwerfliches, er sollte allerdings keine innere Leere kompensieren. Dessous können auch etwas sehr Schönes sein, wenn sie nicht das Einzige sind, was zwei Liebende verbindet.“

Ich: „Innere Leere spüre ich bei meinen Mitmenschen oft, nicht nur bei Männern, die an mir als Frau interessiert sind. Die innere Leere, die mir entgegen schreit, ist manchmal kaum auszuhalten.“

Tagebuch: „Freue Dich doch darüber, dass es bei Dir anders ist.“

Ich: „Dafür bin ich sehr dankbar. Da die meisten anders zu sein scheinen als ich, ist es aber auch ein einsames Gefühl. Natürlich davon ausgenommen sind meine guten langjährigen Freunde. Im Zusammensein mit ihnen spüre ich viel Nähe und es entstehen viele echte Ideen und Aufbruchstimmung.“

Tagebuch: „Hat Dich das Abendessen mit dem Verehrer Deiner Figur und Haarfarbe und der Vorliebe für bestimmte Dessous aktuell so nachdenklich gemacht?“

Ich: „Das ist wohl so. Es wird soviel echtes Potential verschenkt, wenn der Fokus ausschließlich auf Äußerlichkeiten liegt.“

Tagebuch: „Dann bin ich gespannt, wie es weitergeht. Lasse Dich nicht irre machen. Du kennst ja schon Menschen, die das Echte leben und lieben.“

Ich: „Danke für dieses tolle Schlusswort. Schön, dass es Tagebücher gibt, um diese Gedanken aufzuschreiben.“


Und genau hier enden alle Worte dieser Welt, musikalische Schönheit und Intensität bis an die Schmerzgrenze:  

Nigel Kennedy: The Lark Ascending: Romance for violin and orchestra

Dialog Ende

So genug der Schreibübungen für heute. Jetzt gehe ich wirklich noch einmal vor die Tür, Schweinehund hin oder her. Der Schweinehund wird definitiv beleidigt sein. Vielleicht treffe ich draußen den Kater Spike. Er ist so ähnlich wie ein Tagebuch und hilft dabei, Gedankenknäuel zu entwirren.


Fortsetzung folgt