Sonntag, 1. November 2020

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein

 

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie sich der
Beginn des zweiten Lockdowns im  Herbst anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Lockdown und Rotwein



Marie und Christian hatten einen schönen intensiven Sommer erlebt. Die Welt war aus der Erstarrung des ersten Pandemie-bedingten Lockdowns erwacht und viele Möglichkeiten taten sich auf einmal auf.

Auf der Wiese in der Sonne sitzen, abends ein schönes Essen mit Weißwein-Schorle beim Lieblings-Italiener genießen und ein verlängertes Wochenende wegfahren, all das war wieder möglich gewesen, natürlich unter Einhaltung von Hygieneregeln und Abstand.

Marie und Christian waren nach wie vor sehr verliebt, hatten aber auch einmal einen richtig großen Streit zwischendurch erlebt. Dabei ging es, wie so oft, um noch nicht bewältigte Altlasten aus vorangegangenen Beziehungen.

Jetzt hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Fallzahlen der Erkrankungen stiegen wieder an und die Verfechter des alten Denkens „früher war alles besser, wir wollen unser altes Leben zurück“ schrien immer lauter und grotesker. Die Welt war in Steckenbleiben im überholten Schlamm und Aufbruch gespalten. Die Lager gingen dabei wenig versöhnlich miteinander um.

Die Nachrichten-App auf Maries Handy teilte ihr mit, dass die Entwicklung extrem ungünstig verlief und in ein paar Tagen wieder große Teile des öffentlichen Lebens heruntergefahren werden sollten.

Wenigsten bleiben die Friseure dieses Mal geöffnet“, dachte Marie leicht grummelig, als sie die Verordnungen durchlas. Im Prinzip wurde alles, was Spaß machte – zum Beispiel Restaurant-, Theaterbesuche, Sportveranstaltungen, geschlossen. Die Schulen und Kitas sollten geöffnet bleiben und die Geschäfte ebenfalls.

Der Wochenendeinkauf vor den erneuten Maßnahmen fühlte sich wieder sehr seltsam an, auch dieses Mal gab es Lücken in den Regalen. Als Marie mit ihrem gut gefüllten Einkaufswagen in der Schlange an der Kasse wartete, arbeitete es in ihrem Kopf. Nein, sie wollte sich von all dem nicht herunter ziehen lassen, auf gar keinen Fall. Hier gab es viele Luxus-Probleme, natürlich auch sehr reale harte Herausforderungen, wie zum Beispiel drohender oder echter Jobverlust, Angehörige in Pflegeheimen, die zu vereinsamen drohten und natürlich das, was über allem schwebte, der Kollaps des Gesundheitssystems.

Maries Telefon brummte.

Hallo Liebster“, begrüßte Marie Christian, „soll ich auch gleich zehn Pakete Nudeln mehr kaufen, weil die Welt untergeht?“

Christian lachte am anderen Ende der Leitung. „Nein, lass das mal. Aber bring doch einen guten Rotwein mit. Die Franzosen haben während des ersten Lockdowns im Frühjahr ziemlich viel Wein konsumiert und Liebe gemacht. Vielleicht sollten wir an diese Idee anknüpfen, was meinst Du?“

Tolle Idee“, sagte Marie und dachte an die wunderschönen Nächte mit Christian, „wir können es uns wieder zu Hause gemütlich machen und zum Beispiel heute Abend Rotwein trinken?“

Ich weiß, Du kannst gerade nicht so frei sprechen, aber mir schweben noch ein paar schöne Dinge vor, außer Wein trinken“, erwiderte er. Marie konnte sich sein Lächeln in diesem Moment sehr lebhaft vorstellen.

Es ist halt wie mit Beton, es hängt davon ab, was man daraus macht“, war Maries philosophische Antwort mitten im Gewühle vor der Supermarktkasse mit einem hohen Anteil an verängstigten und grimmigen Kunden, „ich besorge uns die besonders gute Weinsorte aus Italien und noch den passenden Käse dazu. Falls es uns morgen dahin raffen sollte, haben wir zumindest vorher einen tollen Abend erlebt.“

Alles klar, ich freue mich, auf den leckeren Wein und Käse und ganz besonders auf Dich“, war Christians Antwort, „bis später.“

Ja, bis später“, sagte Marie.

Später zu Hause trug sie ihre Einkäufe in Richtung Haustür. Den Kater Spike ließ die ganze Situation mal wieder vollkommen unberührt. Er saß einfach auf den Steinen neben herunter gewehten bunten Blättern und beobachtete konzentriert, was passierte. Marie stellte die Taschen ab und begrüßte ihn.

Hallo Spike, mal sehen was dieser Lockdown bringt, oder was meinst Du dazu?“ Keine Antwort von dem Kater, nur ein weiser Blick.

Beschwingt ging Marie ins Haus und freute sich auf einen schönen Abend.

grover washington jr: In the name of love


Fortsetzung folgt

Anmerkung der Autorin:

Mit dem neuen Lockdown ist auch Marie zurück. Der erste Teil entstand, weil ich eine „richtige“ Kurzgeschichte für eine Lesung zu schreiben wollte (die letzte Lesung vor dem ersten Lockdown übrigens), mit allen Kriterien, die eine Kurzgeschichte per Definition ausmachen. Daraus hat sich im Nachgang bei den folgenden Beiträgen eine Betrachtung der Corona-Lage entwickelt. Die Figur Marie ist mir beim Schreiben im Frühling sehr ans Herz gewachsen, die Figur Christian hingegen hat wegen des Corona-Themas weniger Kontur abbekommen. In Hinblick auf ein geplantes Buch, darf die Figur Christian noch einige neue Aspekte erhalten. Ich bin selbst gespannt, wie es sich entwickeln wird.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen