Sonntag, 17. März 2019

003.2 - Hannah - Verwirrende Erkenntnisse

003.2 - Hannah - Verwirrende Erkenntnisse

(Die Welt eines hochsensiblen Kindes)

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Hannah erzählt Euch heute mehr aus ihrem Leben. Sie ist 11 Jahre alt
und wohnt im Erdgeschoss.

Verwirrende Erkenntnisse
Da bin ich wieder, das merkwürdige Kind, das irgendwie immer aus dem Rahmen fällt und anderen damit oft auf die Nerven geht.
Frau Müller, meine Klassenlehrerin, die mich komischerweise ernst nimmt und ganz normal behandelt, hat mich gestern, nachdem es zur Pause geklingelt hatte, angesprochen.
Hannah, ich habe dir mal meine private Telefonnummer aufgeschrieben. Ich würde mich freuen, wenn mich deine Mutter oder dein Vater bei Gelegenheit einmal anruft.“ Ich schaute sie daraufhin alarmiert an.
Keine Angst“, beruhigt sie mich, „ ich möchte mich einfach einmal mit Deinen Eltern über deine besonderen Begabungen unterhalten.“ „Besondere Begabungen?“, wunderte ich mich, „wie kommen Sie darauf?“
Du bist ein Kind mit besonderen Begabungen, die oft übersehen werden. Du bist sehr wahrscheinlich hochsensibel und nimmst mehr wahr als normal sensible Menschen. Hochsensible Menschen brauchen aufgrund dieser Fähigkeit mehr Pausen und mehr Rückzugsmöglichkeiten, weil sie sonst das Gefühl haben, durchzudrehen. Ich denke, das kommt dir doch sicherlich bekannt vor, oder?“, sie sah mich durchdringend an, „ich selbst gehöre auch zu dieser Gruppe, wir sind ungefähr 10 bis 20 Prozent, die so sind. Also, du bist nicht allein.“ Sie zwinkerte mir zu. Ich war sehr verwirrt und fragte mich, wie meine Mutter auf diese Nachricht reagieren würde.
Ich glaube, es ist nicht so eine gute Idee, das meinen Eltern zu erzählen. Sie verstehen sowieso nicht, wie ich bin“, antwortete ich.
Das lasse mal meine Sorge sein“, sagte sie und gab mir noch ein Buch, „wenn du magst, kannst du dich über deine besonderen Fähigkeiten informieren. Es ist toll, wenn man das alles kann und es ist sehr wichtig für diese Welt, genauso wichtig wie die Fähigkeiten, die die „normalen“ Mitmenschen haben.“
Danke“, stotterte ich und nahm das Buch an mich.

Gestern Nachmittag hatte ich das Buch schon halb durchgelesen, obwohl ich eigentlich für die Mathearbeit lernen musste. Fast alles, was dort steht, trifft auf mich zu. Ich kann nur darüber staunen, besonders darüber, dass es anscheinend noch mehr von meiner Sorte gibt. Meiner Mutter habe ich noch nichts davon erzählt.
Als ich ungefähr in der dritten Klasse war, hatte ich sie gefragt, ob sie auch den Grund der Welt sehen könne, so als wäre alles aus Glas. Und ob sie spüren könne, wie Bäume, Sterne, Menschen und Tiere alle zusammengehörten und miteinander sprachen. Sie hat mich nur verstört angesehen und irgendetwas wie „So ein Quatsch“ gemurmelt. Seitdem habe ich meine Beobachtungen über die Welt für mich behalten. Im Gegensatz dazu hatte Spike, der Kater, mich mit einem verständnisvollen Blick angesehen und wusste genau, was ich meinte.
Auch steht in dem Buch, dass hochsensible Menschen Ungerechtigkeiten kaum aushalten. Das ist bei mir auch so, mir tut das richtig körperlich weh. Außerdem zucke ich immer zusammen, wenn ich miterleben muss, dass Kinder oder Hunde angeschrien werden. Dann fühle ich einen tiefen Schmerz in meinem Herzen, weil ich das einfach unfair finde. Kinder und Hunde können sich schlecht gegen Erwachsene wehren.
Ich überlege, ob ich erst mit Anna darüber spreche, bevor ich die Telefonnummer von Frau Müller an meine Eltern weitergebe. Das ist wahrscheinlich besser, denn ich möchte nicht noch mehr Probleme zu Hause bekommen. Mein Vater hatte mir einmal erzählt, dass seine Mutter, also meine Oma, die ich leider nie kennengelernt habe, weil sie so früh verstorben ist, Geschichten schrieb und gerne unter Bäumen saß und dem Rascheln der Blätter im Wind zuhörte. Wahrscheinlich habe ich das alles von ihr geerbt.
Je länger ich aber darüber nachdenke, umso besser finde ich es, wie ich bin. Abends in meinem Zimmer die Lichtspiele, die vorbeifahrende Autos an meine Tapete werfen zu beobachten und mir dabei Geschichten über Lichtwesen und Feen auszudenken, ist für mich spannend, meiner Meinung nach viel interessanter als die langweiligen Zeichentrickfilme, die Leon im Fernsehen schaut.

Das Normale, wie zum Beispiel fernsehen oder mit dem Handy komische Spiele spielen, die nervige Geräusche machen, finde ich öde und habe mich schon immer gefragt, warum so viele das ständig tun. Wenn ich Gespräche, die mein Bruder Leon mit seinen Freunden führt, aufschnappe, sind diese aus meiner Sicht ebenfalls langweilig. Mir würde etwas fehlen, wenn mein Leben nur aus diesen „normalen“ Dingen bestehen würde. Was ist überhaupt „normal“? Das, was die meisten tun? Und ist es deshalb besser? Warum reize ich manche so sehr mit meiner Art, z. B. meine Mutter oder die Jungs im Bus? Ich lasse doch alle anderen in Ruhe, die gerne mit ihren Handy herum daddeln. Ich wünsche mir nur manchmal innerlich, dass sie doch bitte Ohrhörer benutzen, damit nicht jeder die schrillen Geräusche mit anhören muss.
Ich gehe gleich noch mal Spike draußen suchen, um das mit ihm zu diskutieren. Dann werde ich entscheiden, ob ich jemanden einweihen möchte, dass ich anscheinend hochsensibel bin. Komisches Wort, finde ich.
Fortsetzung folgt

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