003.2 - Hannah - Verwirrende Erkenntnisse
(Die Welt eines
hochsensiblen Kindes)
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
meiner Geschichten. :-)
Hannah erzählt Euch
heute mehr aus ihrem Leben. Sie ist 11 Jahre alt
und wohnt im Erdgeschoss.
und wohnt im Erdgeschoss.
Verwirrende
Erkenntnisse
Da bin ich wieder, das
merkwürdige Kind, das irgendwie immer aus dem Rahmen fällt und
anderen damit oft auf die Nerven geht.
Frau Müller, meine
Klassenlehrerin, die mich komischerweise ernst nimmt und ganz normal
behandelt, hat mich gestern, nachdem es zur Pause geklingelt hatte,
angesprochen.
„Hannah, ich habe dir
mal meine private Telefonnummer aufgeschrieben. Ich würde mich
freuen, wenn mich deine Mutter oder dein Vater bei Gelegenheit einmal
anruft.“ Ich schaute sie daraufhin alarmiert an.
„Keine Angst“,
beruhigt sie mich, „ ich möchte mich einfach einmal mit Deinen
Eltern über deine besonderen Begabungen unterhalten.“ „Besondere
Begabungen?“, wunderte ich mich, „wie kommen Sie darauf?“
„Du bist ein Kind mit
besonderen Begabungen, die oft übersehen werden. Du bist sehr
wahrscheinlich hochsensibel und nimmst mehr wahr als normal sensible
Menschen. Hochsensible Menschen brauchen aufgrund dieser Fähigkeit
mehr Pausen und mehr Rückzugsmöglichkeiten, weil sie sonst das
Gefühl haben, durchzudrehen. Ich denke, das kommt dir doch
sicherlich bekannt vor, oder?“, sie sah mich durchdringend an, „ich
selbst gehöre auch zu dieser Gruppe, wir sind ungefähr 10 bis 20
Prozent, die so sind. Also, du bist nicht allein.“ Sie zwinkerte
mir zu. Ich war sehr verwirrt und fragte mich, wie meine Mutter auf
diese Nachricht reagieren würde.
„Ich glaube, es ist
nicht so eine gute Idee, das meinen Eltern zu erzählen. Sie
verstehen sowieso nicht, wie ich bin“, antwortete ich.
„Das lasse mal meine
Sorge sein“, sagte sie und gab mir noch ein Buch, „wenn du magst,
kannst du dich über deine besonderen Fähigkeiten informieren. Es
ist toll, wenn man das alles kann und es ist sehr wichtig für diese
Welt, genauso wichtig wie die Fähigkeiten, die die „normalen“
Mitmenschen haben.“
„Danke“, stotterte
ich und nahm das Buch an mich.
Gestern Nachmittag hatte
ich das Buch schon halb durchgelesen, obwohl ich eigentlich für die
Mathearbeit lernen musste. Fast alles, was dort steht, trifft auf
mich zu. Ich kann nur darüber staunen, besonders darüber, dass es
anscheinend noch mehr von meiner Sorte gibt. Meiner Mutter habe ich
noch nichts davon erzählt.
Als ich ungefähr in der
dritten Klasse war, hatte ich sie gefragt, ob sie auch den Grund der
Welt sehen könne, so als wäre alles aus Glas. Und ob sie spüren
könne, wie Bäume, Sterne, Menschen und Tiere alle zusammengehörten
und miteinander sprachen. Sie hat mich nur verstört angesehen und
irgendetwas wie „So ein Quatsch“ gemurmelt. Seitdem habe ich
meine Beobachtungen über die Welt für mich behalten. Im Gegensatz
dazu hatte Spike, der Kater, mich mit einem verständnisvollen Blick
angesehen und wusste genau, was ich meinte.
Auch steht in dem Buch,
dass hochsensible Menschen Ungerechtigkeiten kaum aushalten. Das ist
bei mir auch so, mir tut das richtig körperlich weh. Außerdem zucke
ich immer zusammen, wenn ich miterleben muss, dass Kinder oder Hunde
angeschrien werden. Dann fühle ich einen tiefen Schmerz in meinem
Herzen, weil ich das einfach unfair finde. Kinder und Hunde können
sich schlecht gegen Erwachsene wehren.
Ich überlege, ob ich
erst mit Anna darüber spreche, bevor ich die Telefonnummer von Frau
Müller an meine Eltern weitergebe. Das ist wahrscheinlich besser,
denn ich möchte nicht noch mehr Probleme zu Hause bekommen. Mein
Vater hatte mir einmal erzählt, dass seine Mutter, also meine Oma,
die ich leider nie kennengelernt habe, weil sie so früh verstorben
ist, Geschichten schrieb und gerne unter Bäumen saß und dem
Rascheln der Blätter im Wind zuhörte. Wahrscheinlich habe ich das
alles von ihr geerbt.
Je länger ich aber
darüber nachdenke, umso besser finde ich es, wie ich bin. Abends in
meinem Zimmer die Lichtspiele, die vorbeifahrende Autos an meine
Tapete werfen zu beobachten und mir dabei Geschichten über
Lichtwesen und Feen auszudenken, ist für mich spannend, meiner
Meinung nach viel interessanter als die langweiligen
Zeichentrickfilme, die Leon im Fernsehen schaut.
Das Normale, wie zum
Beispiel fernsehen oder mit dem Handy komische Spiele spielen, die
nervige Geräusche machen, finde ich öde und habe mich schon immer
gefragt, warum so viele das ständig tun. Wenn ich Gespräche, die
mein Bruder Leon mit seinen Freunden führt, aufschnappe, sind diese
aus meiner Sicht ebenfalls langweilig. Mir würde etwas fehlen, wenn
mein Leben nur aus diesen „normalen“ Dingen bestehen würde. Was
ist überhaupt „normal“? Das, was die meisten tun? Und ist es
deshalb besser? Warum reize ich manche so sehr mit meiner Art, z. B.
meine Mutter oder die Jungs im Bus? Ich lasse doch alle anderen in
Ruhe, die gerne mit ihren Handy herum daddeln. Ich wünsche mir nur
manchmal innerlich, dass sie doch bitte Ohrhörer benutzen, damit
nicht jeder die schrillen Geräusche mit anhören muss.
Ich gehe gleich noch mal
Spike draußen suchen, um das mit ihm zu diskutieren. Dann werde ich
entscheiden, ob ich jemanden einweihen möchte, dass ich anscheinend
hochsensibel bin. Komisches Wort, finde ich.
Fortsetzung folgt
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