Sonntag, 20. März 2022

#007.3 – Jessica – Abtauchen

 

#007.3 – Jessica – Abtauchen


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Jessicas erste Tage in ihrem neuen Zuhause
Sie wohnt im 2. Stock rechts.

Abtauchen


Seit Jessicas Einzug war knapp eine Woche vergangen. Die Anzahl der Kartons in der Wohnung war merklich weniger geworden, der Kühlschrank und das Vorratsregal mittlerweile gut gefüllt und der wichtigste Papierkram erledigt.

Jessica war an diesem Freitag mit dem Rad ins Büro gefahren, denn anscheinend wollte der Frühling seine zarten Fühler ausstrecken. Am Tage war es jetzt länger hell und Vögel zwitscherten morgens bei Sonnenaufgang. An den Büschen waren kleine Knospen zu sehen, Frühblüher hatten das Tageslicht gesucht und erfreuten die wintermüden Menschen mit ihrem bunten Anblick.

Morgens hatte Jessica noch Handschuhe gebraucht, jetzt am Nachmittag war die dicke Jacke fast zu warm. Sie schob das Rad über die Einfahrt zu den Fahrradständern und freute sich auf das Wochenende.

Na, haben Sie sich schon eingelebt?“, die Stimme kam von hinten.

Jessica drehte sich um und erblickte Frau Schulze, wie immer mit hängenden Mundwinkeln und der steilen Falte auf der Stirn.

Ja, danke der Nachfrage. So ein Umzug macht zwar viel Arbeit, aber langsam ist Land in Sicht.“

Denken Sie daran, dass Sie nächste Woche mit der Treppenhausreinigung dran sind. Und die Ecken nicht vergessen.“

'Was für ein toller Einstieg ins Wochenende...', dachte Jessica.

Alles klar. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag“, Jessica wollte die Unterhaltung so schnell wie möglich beenden, „ich habe drinnen noch zu tun.“

Daraufhin kam von Frau Schulze kein weiterer Kommentar, nur ein durchdringender Blick.

Wie war das mit den Erwartungen der anderen? Jeder definierte ein sauberes Treppenhaus anders. Von Nachbarn, die nie putzten, bis zu den Ansprüchen von Frau Schulze war es ein weites Feld. Ob dem Kater Spike gründlich geputzte Ecken wichtig waren, wenn er sein Schläfchen in seiner Box im Treppenhaus machte? Das waren spannende Fragen.

Als sich die Wohnungstür schloss, seufzte sie erleichtert und stellte die Tasche neben die drei unausgepackten Kisten, die noch im Flur standen.

'Heute mache ich rein gar nichts mehr. Eine Kleinigkeit essen, in die Badewanne gehen und dann ins Land der Träume verschwinden, das reicht,' dieser Gedanke war entspannt nach dieser turbulenten Woche.

Als Jessica später die kleinen duftenden Schaumhügel in der Badewanne beobachtete, reflektierte sie über ihre ersten Tage in der neuen Umgebung.

Manchmal hatte sie tatsächlich Michael vermisst, die kleinen Dinge, die sie immer an ihm gemocht hatte. Er hatte zum Beispiel im Winter bei Wind und Wetter Holz von draußen geholt, den Ofen angemacht und dafür gesorgt, dass das Wohnzimmer warm und gemütlich war. Jetzt stellte sie die Heizung in ihrer neuen Wohnung höher, wenn es kalt war, und niemand außer ihr war anwesend, der mit Holz hantierte und ihr von seinem Tag berichtete.

Am Mittwoch war sie sehr früh wach gewesen, weil sie ein Traum, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte, geweckt hatte. Daraufhin hatte sie mitten in der Woche im Bett gefrühstückt und dem Gesang der Vögel draußen gelauscht. Mehr war nicht zu hören gewesen, alle anderen Mitbewohner schliefen noch. Eine kuschelige Decke über den sonst ständig kalten Füssen und einen warmen Kaffeebecher in den Händen, einfach die Gedanken treiben lassen und die perfekte Symbiose aus Wärme, Zeit und Ruhe zu spüren, löste in ihr eine tiefes Gefühl von Zufriedenheit aus.

Ansonsten hatte sie beim Einräumen versucht, Ballast zu identifizieren. Eine wichtige Erkenntnis war, dass es von der Tagesform abhängig war, wie gut es ihr gelang. Abends nach der Arbeit waren in der Regel alle Dinge aus den Kisten in ihre Schränke gewandert, auch die Fotoalben. 'Das Entrümpeln verschiebe ich auf später. Gerade verursacht alles auf einmal erledigen zu wollen, zu viel Druck', dachte sie.

Eine Freundin hatte sie außerdem an einem Abend am Telefon gefragt, ob sie sich bei einer Online-Dating-Plattform angemeldet habe. Dieser Gedanke war angesichts der Umzugskartons und der frisch beendeten Beziehung zu Michael ziemlich absurd. Jessica hatte sich gefragt, wie andere es schafften, dafür Kapazitäten zu haben. Natürlich hatte sie eine Schulter zum Anlehnen vermisst, nachdem sie den ganzen Tag im Büro gearbeitet und sich abends dem Einräumen und Sortieren gewidmet hatte. Das Thema schob sie in Gedanken weg, während sie die kleinen Wassertropfen vom Wasserdampf an den Fliesen beobachtete. Wie am Mittwochmorgen waren ihre Füße und Hände jetzt schön warm, ein zarter Pfirsichduft lag in der Luft und eine Welle der Erleichterung und Freude durchströmte ihren Körper. Das Leben hatte es gut mit ihr gemeint, dieser Moment war einfach perfekt, alles passte, was die Zukunft auch bringen würde.

Norman Brown: After the storm

                                                        Fortsetzung folgt 

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