#007.2 – Jessica – Leichtigkeit
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Jessica ist eingezogen.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Leichtigkeit
Jessica wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Undefinierbares graues Licht bahnte sich den Weg durch das Fenster. Draußen lag ein diffuser Nebel über allem.
‚Hey, wo ist meine Lieblings-CD, Michael?‘, murmelte Jessica. Langsam dämmerte ihr, dass sie in dem neu gekauften Bett zwischen unausgepackten Umzugskartons lag. Keine Spur von dem Mann, der über fünf Jahre ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen war. Plötzlich hellwach setzte sich Jessica auf und eine Welle der Erleichterung durchflutete sie.
‚Völlig egal, ob ich mir jetzt Spaghetti zum Frühstück koche oder eine Pizza in den Ofen schiebe‘, dachte sie und fühlte sich wie ein Teenager mit sturmfreier Bude, dessen Eltern für ein verlängertes Wochenende weggefahren waren.
‚Denkt Michael an mich oder hängt er seit gestern Abend ununterbrochen im Internet auf Datingseiten herum, um meine Nachfolgerin zu finden?‘, überlegte sie und stoppte diesen Gedanken, der ihr einen kleinen Stich versetzte. Er war genau so frei wie sie, seine eigenen Entscheidungen zu Onlinedating oder schrägen Frühstücksvariationen zu treffen.
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schob die Decke beiseite. Heute war Sonntag und an ihr Ohr drang nur ein leises Wassergeräusch aus einer anderen Wohnung. Überall standen Kartons herum. Jessica seufzte bei dem Gedanken an die vielen Sachen darin.
Vor dem Umzug zu entrümpeln, hätte die Anzahl der herumstehenden Kisten drastisch reduziert. Aber die Ereignisse hatten sich in den letzten Wochen überschlagen. Jessica hatte kurzfristig die Zusage für die Wohnung bekommen und schnell wurde der Umzug organisiert. Zeit zum Nachdenken gab es nicht.
Sie nahm sich fest vor, beim Einräumen genau zu überlegen, welche Gegenstände sie in ihrem frisch gestarteten Lebensabschnitt weiter begleiten sollten. Leichtigkeit strebte sie an. In den letzten Jahren hatte sich diese schleichend aus ihrem Leben verabschiedet und ein schweres, träges Gefühl hatte den frei gewordenen Platz übernommen.
Zum Frühstück lachte sie das letzte Stück Apfelkuchen vom Umzug an. Ansonsten herrschte in dem nagelneuen Kühlschrank gähnende Leere, keine Tiefkühlpizza, geschweige denn Zutaten für ein Spaghetti-Gericht. Ein Anflug von Melancholie breitet sich aus. Ein paar Straßen weiter gab es zum Glück einen kleinen Bäckerladen.
Später nach einem richtigen Frühstück mit Kaffee und Brötchen wurde feierlich der erste Umzugskarton geöffnet. Am liebsten hätte Jessica ihn sofort wieder verschlossen oder wahlweise auf den Mond verbannt. Fotoalben von gemeinsamen Urlaubsreisen mit Michael erblickte sie darin.
Sie holte sich den letzten Kaffee aus der Küche. Ihr Blick fiel auf ihr Handy.
„Hallo Tina, hier ist Jessica. Bist du schon wach?“
„Ja, so halb. Wie hast Du die erste Nacht in der neuen Wohnung geschlafen?“, fragte die Freundin.
„Gut, beim Aufwachen wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Aber frische Brötchen habe ich schon gekauft und gefrühstückt. Und es gibt einen pelzigen Nachbarn, einen Kater. Er heißt Spike.“
„Das klingt doch positiv, besonders der pelzige Nachbar. Brauchst du Hilfe beim Einräumen? In zwei Stunden könnte ich bei dir sein.“
„Gerne, den ersten Umzugskarton habe ich eben gleich wieder verschlossen und in eine Ecke geschoben. Es waren Fotoalben darin.“
„Vielleicht solltest du mit der Küche anfangen?“, schlug die Freundin vor, „dann kochen wir später zusammen ein Pasta-Gericht. Die Zutaten bringe ich mit.“
Jessicas Stimmung hellte sich auf: „Oh ja, an Spaghetti habe ich sogar vorhin gedacht. Das ist ein motivierender Plan. Bis später.“
Die Kartons mit der Aufschrift „Küche“ standen kreuz und quer im Flur.
Bis die Freundin auftauchte, verging die Zeit wie im Flug und die Küche war schon halb eingeräumt. Tina brachte die Zutaten für das Mittagessen und eine kleine Flasche Sekt mit Gläsern mit.
„Auf dich und deine neue Wohnung“, sagte sie, „und viel Glück.“
Die Gläser klangen und Jessica lächelte bei dem Gedanken an das, was die Zukunft hier für sie bereit halten würde. Das Leben und die Dinge um sie herum sollten übersichtlicher werden, Ballast jeglicher Art in diesem Zuge verschwinden. Dazu waren eben nicht alle eingepackten Sachen in die Küchenschränke gewandert. Der Topf mit dem schlecht schließenden Deckel zum Beispiel, einige Kaffeebecher mit undefinierbaren Mustern und Küchenhelferlein, die sie noch nie benutzt hatte, lagen in einem separaten Karton. Andere freuten sich vielleicht über bunte Tassen, wenn Jessica sie verschenkte. Es war befreiend, der erste schwierigste Schritt erledigt.
Abends im Bett schrieb Jessica folgende Zeilen in ihr Notizbuch:
Die Abrissbirne
Lange dunkle vollgepackte
Tage, voller Hektik
mit der einzigen Taktik,
alles irgendwie zu
überstehen.
Aber …..
habe ich dabei nicht
etwas übersehen?
Das Gefühl von Glück
und Zufriedenheit
blieb bei der stets
langen Liste mit To-dos auf der Strecke.
Mein innerer vorlauter
Schelm blickte um die Ecke,
und sprach: „Wo ist
Deine Leichtigkeit geblieben?
Du bist so sehr getrieben
von Dingen, Ängsten und
Gedanken.
Lasse dieses erdachte
Gebäude wanken.
Reiße die Mauern ein und
suche in Trümmern nach
dem lebendigen Echten,
befreie Dich von den
dunklen Gedanken-Mächten.“
Dein Wunsch ist mir
Befehl, Du wahrhaftiger Schelm.
Zuerst die Abrissbirne an
fremde Erwartungen,
dann an die weit
verzweigten Gedanken-Entartungen.
Der Lärm macht mich fast
taub.
Über dem Schutthaufen
liegt dann Staub,
der den Blick zunächst
trübt.
Aber Sonnenstrahlen sind
bemüht,
die Staubteilchen in
vielen Farben tanzen zu lassen.
Später folgt ein
Sommerregen, Wasser von oben in Massen.
Da stehe ich nun tropfend
neben dem nassen
Trümmerberg
und fühle mich wie ein
Zwerg,
schaue nach oben,
zu dem Regenbogen,
fühle mich befreit von
To-dos und Druck,
so als ginge ein Ruck
durch mein sonstiges
Augenmerk.
Ein anderer Blickwinkel
von diesem Standort,
die Perspektive
verschoben,
daraus wird jetzt ein
neues Lebensgefühl gewoben,
darauf hast Du mein Wort,
Du Schelm,
der mich seit meiner
Kindheit begleitet,
stets meinen Horizont
weitet
und mich sicher zu neuen
Ufern geleitet.
Brian Culbertson: Dreaming Of You
Fortsetzung folgt
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