#006.17
– Sarah – Herzklopfen
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute kommt Sarah wieder
zu Wort.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Herzklopfen
Es war Mittwoch viertel
vor fünf nachmittags und einer dieser besonderen Momente, an den
sich Sarah wahrscheinlich noch in vielen Jahren erinnern würde. Ihr
Herz klopfte vor Aufregung, bestimmt würde sie gleich kein Wort
herausbringen.
Ihre Worte und
Gedankenwelten waren in den Wochen zuvor so spielerisch leicht auf
das Papier geflossen, bevor diese in einem Papierumschlag hunderte
Kilometer in einer gelben Postkiste durch das Land zu ihrem Empfänger
reisten. Dieser Empfänger stand nun am Eingang des gemütlichen
Cafés, in dem sie sich verabredet hatten, gekleidet in Jeans und
blauem Hemd.
'Gleich werde ich Thomas
das erste Mal persönlich gegenüber stehen und trotzdem habe ich das
Gefühl, ihn seit ewigen Zeiten zu kennen. Bis jetzt war es nur ein
Briefwechsel und weiter nichts', Sarahs Gedanken überschlugen sich,
'was tue ich hier bloß?'
Nervös wanderte ihre
rechte Hand zu ihrer kleinen dunkelbraunen Lederhandtasche. Sie
brauchte dringend einen Anker zum Festhalten, eine Handtasche eignete
sich gut dafür. .
„Sarah“, Thomas
schaute sie mit großen Augen an, „wie schön, Dich zu sehen und
dass Du es einrichten konntest.“
Sarah blickte in sein
kluges, freundliches Gesicht. Dabei legte sie ihren Kopf ein wenig in
den Nacken, weil er größer war als sie.
„Ich freue mich auch.
Hattest Du eine gute Anreise? Ich habe gestern hier einen Tisch
reserviert, das ist in diesen Zeiten sicherer. Jetzt wollen ja viele
nach den Monaten im Corona-Lockdown wieder ausgehen“, während sie
diese Worte aussprach, wunderte sie sich sich selbst darüber, dass
ihr die Begrüßung so locker über die Lippen gekommen war, während
es in ihrem Innern gerade aufgeregt brodelte.
„Ja, dieses Mal habe
ich nichts Wichtiges verloren, als ich für meine Schwester einen
Blumenstrauß gekauft habe“, während er das sagte, zwinkerte er
lächelnd mit den Augen.
Ihre Brieffreundschaft
war durch seine aus der Jackentasche gefallene Geldbörse entstanden.
Sarah hatte sie auf einem Supermarkt-Parkplatz gefunden und ihm per
Post geschickt. Daraus hatte sich der intensive Briefkontakt
entwickelt.
Sarah ertappte sich
dabei, dass ihr Blick von seinen schelmischen Augen zu seinen Lippen
wanderte. 'Er kann bestimmt sehr sinnlich küssen', dachte sie und
empfand dabei wieder eine intensive Nähe zu diesem eigentlich
unbekannten Mann.
In seltenen, besonderen
Augenblicken spürte Sarah ein feines Vibrieren in ihrem Körper.
Immer dann, wenn alles passte. Das konnte eine zwischenmenschliche
Stimmung, ein vollkommenes Musikstück oder das Zusammenspiel
verschiedener Akteure, die etwas gemeinsam gestalteten, sein. Ihre
Aufregung war verschwunden und hatte sich in eine große innere Ruhe
verwandelt, während sie diesem Gefühl nachspürte.
„Sarah, wollen wir
hinein gehen?“
„Ja, natürlich. Ich
habe wohl einen Moment geträumt.“
„Wahrscheinlich,
zumindest sah es so aus. Vielleicht erzählst Du mir Deine Träume
irgendwann“, seine Stimme war auf einmal sehr leise.
'Du kennst sie
wahrscheinlich schon', dachte Sarah.
Jetzt folgte das
Prozedere der aktuell gültigen Corona Verordnung:
Mund-Nasen-Schutz
aufsetzen, die Hände am Eingang wie in einem Krankenhaus
desinfizieren und Einchecken mit Kontaktdaten
Einfach nur in ein Café
gehen, sich ein nettes Plätzchen suchen, bestellen und genießen,
war momentan nicht möglich.
Aber Sarah und Thomas
hatten schließlich an dem reservierten Tisch draußen im Innenhof
unter einem großen Sonnenschirm Platz nehmen dürfen und schauten
auf das desinfizierte, laminierte Blatt mit den aufgelisteten Speisen
und Getränken.
„Wollen wir ein Glas
Sekt vor unserem Kaffee bestellen?“ schlug Thomas vor, „es ist
doch etwas Besonderes, dass wir hier gemeinsam an einem Tisch sitzen.
Ich finde, das sollten wir gebührend feiern.“
„Oja, gerne“, Sarah
lächelte ihn an, „du hast recht, jetzt ist gerade der extreme
Lockdown vorbei und Du bist hierher gereist, alles sehr gute Gründe
für einen Sekt.“
Thomas bestellte den Sekt
bei der jungen Kellnerin. Sarah überlegte, ob sie vielleicht eine
Studentin war, die sich darüber freute, dass sie wieder in ihrem
Nebenjob im Service Geld verdienen konnte.
„Der Käsekuchen ist
hier besonders zu empfehlen“, sagte Sarah.
„Danke für den Tipp.
Den werde ich auf jeden Fall bestellen“, Thomas blickte sie an. Ein
einvernehmliches Schweigen breitete sich über dem Tisch aus. Sarah
erwiderte seinen Blick und in ihrer Phantasie lugten die Elfen aus
Shakespeares Sommernachtstraum aus dem großen Blumenkasten neben dem
Tisch hervor und flüsterten in ihrer Elfensprache miteinander.
Die junge Frau mit der
langen Schürze brachte zwei Gläser Sekt auf einem Tablett und nahm
die restliche Bestellung auf. Die Elfen in dem Blumenkasten
verstummten solange.
„Auf unser
Zusammentreffen, heute real und in Farbe“, Thomas hob sein Glas.
„Ja, genau, und auf das
Leben, das immer wieder - trotz Pandemie - viele Überraschungen
bereit hält.“
Während die Gläser
sanft aneinander stießen, blickten sich Sarah und Thomas tief in die
Augen.
'Ich muss mit dem Alkohol
ein bisschen aufpassen', dachte Sarah, 'soviel habe ich heute vor
lauter Aufregung nicht gegessen.'
Deshalb nippte sie erst
einmal an ihrem Glas.
„Vorhin habe ich mit
den Kindern meiner Schwester noch im Garten herumgetobt“, erzählte
Thomas, „das bringt immer Spaß, aber ich gebe zu, dass mir beim
Tampolinspringen ein bisschen schwindelig geworden ist.“
Sarah lachte und stellte
sich vor, wie Thomas auf einem Trampolin herum hüpfte.
'Mir wird gleich von dem
Sekt schwindelig. Oder von meiner Begleitung?', überlegte Sarah.
Zum Glück wurden jetzt
Kaffee und Kuchen gebracht. Sarah schob das Sektglas ein wenig an die
Seite und widmete sich der großen Kaffeetasse.
„Was ist denn in Hessen
aktuell so los? Ist es am Edersee am Wochenende zu Lockdown-Zeiten
leer gewesen? Meine Freundin hatte mir früher erzählt, dass gefühlt
alle Einwohner von Nord- und Mittelhessen bei schönem Wetter den
Edersee stürmen, wenn sie frei haben.“
„Es waren in den
letzten Monaten nicht viele Besucher am Edersee. Deine Freundin hatte
recht, in sogenannten „normalen“ Zeiten sind die Straßen,
Parkplätze und Cafés immer sehr voll mit Menschen gewesen. Trotzdem
ich auf meinem Grundstück immer meine Ruhe habe, war es ein
Unterschied. Die Natur war mehr sich selbst überlassen und bei
Waldspaziergängen habe ich selten jemanden getroffen“, Thomas
schaute nachdenklich vor sich hin, während er sprach, „außerdem
waren in der Ferne keine lauten Motorräder zu hören. Biker lieben
den Edersee normalerweise, waren aber auch nicht da. Das wird sich
jetzt wahrscheinlich schnell wieder ändern. Aber dann ziehe ich mich
auf meine Terrasse zurück und schaue von dort in Ruhe auf das
glitzernde Wasser.“
„Schön und entspannt“,
sagte Sarah und stellte sich Thomas mit einem Glas Wein auf seiner
Terrasse in der Abendsonne vor.
„Die Einladung zum
Edersee, die ich Dir vor einigen Wochen geschrieben habe, gilt nach
wie vor. Du bekommst dann das Gästezimmer mit Seeblick, inklusive
Frühstück und meiner Kochkünste, was die kleine Ferienhaus-Küche
halt so hergibt.“
„Darüber werde ich
ernsthaft nachdenken. Das klingt sehr verlockend. Aber nur, wenn ich
Dich mindestens einmal abends auswärts zum Essen einladen darf.“
„Einverstanden“,
sagte Thomas.
Beide schwiegen eine
Weile und Sarah dachte, dass es in ihrem Leben nicht viele Menschen
gab, mit denen sich Sprechpausen so angenehm anfühlten.
Thomas berichtete dann
noch, wie seine Heimatstadt langsam wieder zum Leben erwachte. Sarah
hörte ihm aufmerksam zu und genoss seine Gegenwart. Sie erzählte
noch ein paar Anekdoten aus ihrem bunten Berufsalltag und den
Lockdown-Zeiten.
„Wann fährst Du wieder
nach Hause?“ fragte sie, als die Kaffeetassen, Kuchenteller und
auch die Sektgläser geleert waren.
„Freitagabend habe ich
geplant, Samstagvormittag muss ich wieder in meinen Läden nach dem
Rechten sehen. Es gibt immer viel zu organisieren.“
Sarah gab sich innerlich
einen Ruck, bald war er wieder hunderte Kilometer entfernt.
„Möchtest du, bevor Du
los fährst, noch auf einen Kaffee nachmittags bei mir
vorbeikommen?“, fragte sie, „ich arbeite bis mittags und könnte
auf dem Heimweg vom Büro Kuchen beim Bäcker besorgen.“
„Das Angebot nehme ich
gerne an“, Thomas lächelte sie an und freute sich offensichtlich
über die Einladung, er nahm kurz ihre Hand und drückte sie, „darf
ich Dich heute einladen?“
„Ja, vielen Dank“,
ihr Herz klopfte wieder schneller.
Vor dem Eingang des Cafés
umarmten sie sich.
„Meine Adresse hast Du
ja“, sagte Sarah, während sie so nah beieinander standen.
„Stimmt,“ murmelte
er. Sie fühlte seinen Atem an ihrem Ohr und seine Hände berührten
sanft ihren Rücken.
„Bis Freitag“, so
richtig konnte sich Sarah nicht aus seiner Umarmung lösen. Es fühlte
sich gleichzeitig aufregend und vertraut wie ein Zuhause an.
Schließlich fuhr Sarah
mit ihrem Rad wieder nach Hause und vieles ging ihr durch den Kopf.
Vor dem Eingang des Fahrradkellers lief ihr Spike, der Kater, über
den Weg. Er war in seiner üblichen gemächlichen Geschwindigkeit
unterwegs.
„Hallo Spike, hattest
Du auch so einen schönen Tag wie ich?“ fragte Sarah leise. Wer
konnte wissen, ob die alte Frau Schulze vielleicht hinter einem Busch
lauerte, um Neuigkeiten über ihre Nachbarn aufzuschnappen. Deshalb
war immer ein bisschen Vorsicht angebracht, um Klatsch und Tratsch
keine neue Nahrung zu liefern.
Spike schaute sie
interessiert an und Sarah deutete den Katerblick als Zustimmung, dass
auch er einen schönen Frühlingstag erlebt hatte, was auch immer das
für einen Kater bedeuten mochte.
Fortsetzung folgt
Liebe Leserin,
lieber
Leser,
einen zauberhaften
Frühling wünsche ich Euch.
Liebe Grüße von der
Autorin