Freitag, 6. Dezember 2024

#003.6 – Hannah – Der entführte Nikolaus

 

#003.6 – Hannah – Der entführte Nikolaus

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
 meiner Geschichten. :-)



Hannah ist aufgeregt.
Sie darf eine selbst geschriebene Adventsgeschichte
in einem Kindergarten vortragen.

Der entführte Nikolaus


Hannah blickte in viele Kinderaugenpaare. Die Kinder hatten sich in einem Halbkreis auf den Boden gesetzt und schauten gespannt in ihre Richtung.

Auf einem Stuhl an der Seite hatte Frau Müller, ihre Deutschlehrerin, Platz genommen. In der Schul-AG Kreatives Schreiben hatte Hannah nach Meinung einer 5-köpfigen Jury die beste Adventsgeschichte für Kinder geschrieben und durfte diese in drei Kindergärten ihrer Stadt präsentieren. Außerdem hatte sie eine Urkunde und ein Preisgeld erhalten. Mit dem Geld wollte sie in den nächsten Tagen Weihnachtsgeschenke für ihre Familie und natürlich viele Leckerlis für den Kater Spike, ihren besten Freund, Nachbarn und Vertrauten, kaufen.

Die Leiterin des Kindergartens lehnte im Türrahmen und nickte Hannah aufmunternd zu. Kurz zuvor hatte sie den Kindern die frisch gekürte jugendliche Autorin vorgestellt und sich für Hannahs Besuch bedankt.

Hannah atmete tief ein und schloss kurz die Augen. Sie hatte es zu Hause geübt, die Geschichte vorzutragen. ‚Lies langsam und deutlich‘, ermahnte sie sich selbst. Dann begann sie:

Der entführte Nikolaus

Schneeflocken tanzten zu Boden, es war still im Wald. So still, dass man das leise Atmen der Erde wahrnehmen konnte. Auf einer Lichtung stand ein kleines Steinhaus, kaum größer als ein Schuppen. Aus dem gemauerten Schornstein stieg Rauch nach oben. Auf den kleinen Fensterbänken standen flackernde Kerzen und die Fensterscheiben schmückten selbst gebastelte Papier-Sterne. Drinnen saß ein Gnom mit verwittertem Gesicht und großen Ohren in einem noch größeren Ohrensessel und hatte ein Buch auf dem Schoß. Eine Nickelbrille zierte seine Nase. Neben ihm auf einem Tischchen dampfte eine Tasse Tee. Er war ganz in seine Lektüre vertieft. Plötzlich hämmerte eine andere kleine Gestalt an seine Tür: „Gerd, mach auf. Es ist etwas passiert!“

Gerd fuhr zusammen, er war mit seinen Gedanken ganz in der Geschichte gefangen, die er gerade las. Mühsam erhob er sich aus seinem Sessel und schlurfte mit seinen roten Filzpantoffeln zur Tür. „Simon, was ist los? Ich habe mich eben richtig erschrocken.“

Simon betrat den kleinen gemütlichen Raum. „Du musst sofort mitkommen, der Nikolaus ist entführt worden. Die Kinder im nächsten Dorf warten auf ihre Nikolaus-Überraschung und werden furchtbar enttäuscht sein, wenn sie dieses Jahr leer ausgehen.“ Er war ganz außer Atem.

„Wie kommst darauf, dass der Nikolaus entführt wurde?“ Gerd schaute seinen Freund fragend an.

„Bei meiner Nachbarin, der Kräuterhexe Karla, wurde ein Brief abgegeben. Die Entführer möchten sämtliche selbst gebackene Plätzchen aller Waldbewohner im Tausch gegen den Nikolaus haben. Wir haben nur noch zwei Stunden Zeit, alle unsere Waldnachbarn aufzusuchen und die Plätzchen einzusammeln. Die Übergabe soll an der großen Eiche am Bach stattfinden. Bei zwanzig prall gefüllten Keksdosen, die am Fuße der Eiche hinterlegt werden sollen, kommt der Nikolaus frei und kann seine Runde fortsetzen.“

Gerd dachte an seine zwei Dosen, die mit köstlichen Plätzchen gefüllt waren. Der Gedanke, diese Leckereien abzugeben, fiel ihm schwer. Er würde sich keine neuen Backzutaten vor Weihnachten mehr besorgen können, weil der Weg in die nächste Stadt zu weit war. Außerdem war sein Sparstrumpf fast leer. Andererseits war Gerd der Meinung, dass alle Kinder eine Nikolaus-Überraschung verdient hatten. Er ging zu der kleinen Kommode und zog die oberste Schublade auf. Dort bewahrte er seine Plätzchen auf. „Nimm die beiden Dosen mit, Simon. Soll ich dich begleiten, um bei den anderen Nachbarn, die Kekse einzusammeln?“

„Ja, gerne.“

Gerd zog sich seinen warmen Umhang an, band sich einen Wollschal um den Hals und ließ seine wollsockigen Füße in seine Fellstiefel gleiten.

„Komm Simon, wir müssen uns beeilen. Warum haben die Entführer eigentlich den Brief ausgerechnet bei Karla abgegeben?“

„Vielleicht, weil sie mit dem Nikolaus befreundet ist?“, überlegte Simon.

„Karla habe ich ehrlich gesagt noch nie richtig über den Weg getraut. Sie beschwert sich andauernd über dieses und jenes. Meinst du, sie hat den Nikolaus um den Finger gewickelt und mit ihm zusammen den Plan geschmiedet, an viele Plätzchen zu kommen, damit sie selbst zu Weihnachten nicht backen muss? Sie liebt Kekse und hasst es zu backen.“

„Das müssten wir beweisen. Wir können uns ja auf ihr Grundstück schleichen und im Geräteschuppen nachsehen, ob sich der Nikolaus dort versteckt.“

Gemeinsam stapften Gerd und Simon durch den Schnee und näherten sich vorsichtig dem Haus der Kräuterhexe. Kerzenlicht schimmerte durch die kleinen Holzfenster. Sie schlichen an der Hauswand vorbei und gingen zu dem Schuppen auf dem hinteren Teil des Grundstücks. Simon wäre fast in der Dunkelheit über einen Holzscheid gestolpert, der von einem Holzstapel auf den Weg gefallen war. Die Tür zum Schuppen war nur angelehnt, ein schmaler Lichtstreifen von einer Laterne fiel nach draußen. Gerd öffnete vorsichtig die Schuppentür und tatsächlich saß der Nikolaus auf einem Schemel, eingehüllt in eine warme Decke. Neben ihm stand der Geschenke-Sack.

„Hey Nikolaus, du hast heute Nacht eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Warum versteckst du dich in Karlas Schuppen?“, fragte Simon empört.

„Ihr habt ja Recht. Eigentlich müsste ich schon im nächsten Dorf unterwegs sein und die Geschenke an die Kinder verteilen,“ er zeigte unglücklich auf den Geschenke-Sack, „Karla hat mich zu diesem Theater überredet. Sie wollte unbedingt viele Weihnachtsplätzchen haben, ohne dafür etwas zu tun. Es tut mir leid.“

Durch die Unruhe im Garten hatte Karla gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Sie verließ ihr kleines Häuschen und lief in Richtung Schuppen: „Gerd und Simon, was habt ihr in meinem Garten zu suchen?“ Als sie sah, dass die Schuppentür offen stand und ihr Spiel offensichtlich durchschaut worden war, verstummte sie.

Der Nikolaus erhob sich von dem Schemel und erklärte: „Ich muss dringend los. Es gibt viel zu tun heute Nacht.“

Karla stand wie ein begossener Pudel da und jammerte: „Das kannst du nicht machen, Nikolaus. Das hatten wir anders besprochen, du Verräter.“ Sie lief dabei rot an.

„Ich denke, Karla, jetzt musst du doch selbst Plätzchen backen. Das war ziemlich dämlich, auf Kosten der Kinder so einen gemeinen Plan zu schmieden. Pfui!“ Die Gesichtsfarbe von Gerd färbte sich ebenfalls dunkelrot.

„Jetzt beruhigt euch wieder“, Simons Stimme klang ruhig und feierlich, „zum Glück hat sich alles rechtzeitig aufgeklärt. Der Nikolaus wird seine Runde noch schaffen und Karla hat bis Weihnachten noch genug Zeit, um selbst zu backen.“

Gerd hatte sich wieder einigermaßen gefangen und freute sich, dass er seine beiden Keksdosen wieder mit nach Hause nehmen konnte.

 „Wie wäre es, Karla, wenn wir in den nächsten Tagen gemeinsam Plätzchen in deinen Ofen schieben? Ich habe gehört, dass dir schon oft etwas angebrannt ist. Wir passen auf, dass dieses Mal alles gut klappt und du hast Heiligabend eine eigene Dose mit Plätzchen.“

Karla schaute unbehaglich von einem zum anderen: „Ihr habt Recht, es war eine total dumme Idee. Kommt ihr am Wochenende zum Backen vorbei? Dann trinken wir Tee und naschen zusammen. Warum bis Heiligabend damit warten?“

.„Das machen wir. Jetzt ist mir richtig kalt und ich möchte wieder in mein warmes Häuschen. Wir sehen uns übermorgen bei dir, Karla.“ Gerd rieb sich die klammen Finger.

Dann gingen alle wieder nach Hause, bis auf den Nikolaus, der heute Nacht noch allen Kindern kleine Geschenke in die geputzten Schuhe stecken würde.

Und die Moral von der Geschicht‘:
Den Nikolaus entführen lohnt sich nicht.

 

Die Kinder hatten voller Aufmerksamkeit Hannahs Geschichte gelauscht und sie klatschten begeistert.

Ein blondes Mädchen, das ganz vorne saß, meinte: „Stellt euch vor, der Nikolaus wäre im Schuppen geblieben und die Kinder hätten keine Süßigkeiten bekommen, wie gemein.“

Ein Junge mit braunen Kulleraugen fragte Hannah: „Hast du das schon einmal erlebt, dass nichts am Nikolaustag in deinem Stiefel war?“

„Zum Glück nicht“, erwiderte Hannah und lächelte den kleinen Jungen freundlich an, „vielleicht gab es immer so mutige und schlaue Gnome, die den verschwundenen Nikolaus aufgespürt haben.“

Hannah freute sich, dass ihre Geschichte so gut angekommen war. Ihre innere Aufregung hatte sich gelegt. Für einen kurzen Moment dachte sie an die frechen Jungs ihrer Schule, für die sie bis vor kurzem immer nur ein Opfer gewesen war. Keiner von denen hatte je einen Preis gewonnen oder war durch ein besonderes Talent aufgefallen.

„Apropos Adventssüßigkeiten, heute dürft ihr ausnahmsweise naschen, nebenan könnt ihr euch etwas Leckeres holen“, verkündete die Leiterin laut.

Die Kinder standen auf und liefen begeistert zu den Süßigkeiten-Tellern.

Hannah packte den Ausdruck ihrer Geschichte in ihren Rucksack.

„Du hast wirklich Talent zum Schreiben, deine Figuren waren schön beschrieben. Es hat Spaß gemacht, dir zuzuhören.“ Dieses Lob kam von der Kindergartenleiterin.

Hannah wurde ein bisschen rot und freute sich besonders darüber, dass die Kinder so viel Freude mit ihrer kleinen  Adventsgeschichte gehabt hatten. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Bei der nächsten Lesung würde sie Anna, ihre beste Freundin, fragen, ob sie mitkommen wollte.

Frau Müller gratulierte ihr und etwas später fuhr sie Hannah nach Hause. Während der Heimfahrt  schaute Hannah durch das Autofenster und betrachtete die geschmückten und beleuchteten Häuser. Dieser Tag war voller echtem Weihnachtszauber gewesen. Sie spürte dem Gefühl nach und nahm sich vor, diesen Advent und Weihnachten in vollen Zügen zu genießen.

Fortsetzung folgt

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Weihnachtszauber zu spüren, wünsche ich allen auf diesem Planeten.

Passt gut auf Euch auf, seid nett zueinander, genießt Plätzchen, das Zusammensein mit Freunden und Familie, Geschenke und seid gespannt, wie es hier auf diesem Blog weitergehen wird.

Herzliche Adventsgrüße von

der Autorin



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