#003.6
– Hannah – Der entführte Nikolaus
Dies
ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Hannah
ist aufgeregt.
Sie darf eine selbst geschriebene Adventsgeschichte
in einem Kindergarten vortragen.
Der entführte Nikolaus
Hannah
blickte in viele Kinderaugenpaare. Die Kinder hatten sich in einem Halbkreis
auf den Boden gesetzt und schauten gespannt in ihre Richtung.
Auf
einem Stuhl an der Seite hatte Frau Müller, ihre Deutschlehrerin, Platz
genommen. In der Schul-AG Kreatives
Schreiben hatte Hannah nach Meinung einer 5-köpfigen Jury die beste
Adventsgeschichte für Kinder geschrieben und durfte diese in drei Kindergärten
ihrer Stadt präsentieren. Außerdem hatte sie eine Urkunde und ein Preisgeld
erhalten. Mit dem Geld wollte sie in den nächsten Tagen Weihnachtsgeschenke für
ihre Familie und natürlich viele Leckerlis für den Kater Spike, ihren besten
Freund, Nachbarn und Vertrauten, kaufen.
Die Leiterin
des Kindergartens lehnte im Türrahmen und nickte Hannah aufmunternd zu. Kurz
zuvor hatte sie den Kindern die frisch gekürte jugendliche Autorin vorgestellt
und sich für Hannahs Besuch bedankt.
Hannah
atmete tief ein und schloss kurz die Augen. Sie hatte es zu Hause geübt, die
Geschichte vorzutragen. ‚Lies langsam und deutlich‘, ermahnte sie sich selbst. Dann
begann sie:
Der entführte
Nikolaus
Schneeflocken tanzten zu Boden, es war
still im Wald. So still, dass man das leise Atmen der Erde wahrnehmen konnte.
Auf einer Lichtung stand ein kleines Steinhaus, kaum größer als ein Schuppen. Aus
dem gemauerten Schornstein stieg Rauch nach oben. Auf den kleinen Fensterbänken
standen flackernde Kerzen und die Fensterscheiben schmückten selbst gebastelte
Papier-Sterne. Drinnen saß ein Gnom mit verwittertem Gesicht und großen Ohren
in einem noch größeren Ohrensessel und hatte ein Buch auf dem Schoß. Eine
Nickelbrille zierte seine Nase. Neben ihm auf einem Tischchen dampfte eine
Tasse Tee. Er war ganz in seine Lektüre vertieft. Plötzlich hämmerte eine
andere kleine Gestalt an seine Tür: „Gerd, mach auf. Es ist etwas passiert!“
Gerd fuhr zusammen, er war mit seinen
Gedanken ganz in der Geschichte gefangen, die er gerade las. Mühsam erhob er
sich aus seinem Sessel und schlurfte mit seinen roten Filzpantoffeln zur Tür.
„Simon, was ist los? Ich habe mich eben richtig erschrocken.“
Simon betrat den kleinen gemütlichen
Raum. „Du musst sofort mitkommen, der Nikolaus ist entführt worden. Die Kinder
im nächsten Dorf warten auf ihre Nikolaus-Überraschung und werden furchtbar
enttäuscht sein, wenn sie dieses Jahr leer ausgehen.“ Er war ganz außer Atem.
„Wie kommst darauf, dass der Nikolaus
entführt wurde?“ Gerd schaute seinen Freund fragend an.
„Bei meiner Nachbarin, der Kräuterhexe
Karla, wurde ein Brief abgegeben. Die Entführer möchten sämtliche selbst
gebackene Plätzchen aller Waldbewohner im Tausch gegen den Nikolaus haben. Wir
haben nur noch zwei Stunden Zeit, alle unsere Waldnachbarn aufzusuchen und die
Plätzchen einzusammeln. Die Übergabe soll an der großen Eiche am Bach
stattfinden. Bei zwanzig prall gefüllten Keksdosen, die am Fuße der Eiche
hinterlegt werden sollen, kommt der Nikolaus frei und kann seine Runde
fortsetzen.“
Gerd dachte an seine zwei Dosen, die mit
köstlichen Plätzchen gefüllt waren. Der Gedanke, diese Leckereien abzugeben,
fiel ihm schwer. Er würde sich keine neuen Backzutaten vor Weihnachten mehr
besorgen können, weil der Weg in die nächste Stadt zu weit war. Außerdem war
sein Sparstrumpf fast leer. Andererseits war Gerd der Meinung, dass alle Kinder
eine Nikolaus-Überraschung verdient hatten. Er ging zu der kleinen Kommode und
zog die oberste Schublade auf. Dort bewahrte er seine Plätzchen auf. „Nimm die
beiden Dosen mit, Simon. Soll ich dich begleiten, um bei den anderen Nachbarn,
die Kekse einzusammeln?“
„Ja, gerne.“
Gerd zog sich seinen warmen Umhang an, band
sich einen Wollschal um den Hals und ließ seine wollsockigen Füße in seine
Fellstiefel gleiten.
„Komm Simon, wir müssen uns beeilen.
Warum haben die Entführer eigentlich den Brief ausgerechnet bei Karla
abgegeben?“
„Vielleicht, weil sie mit dem Nikolaus
befreundet ist?“, überlegte Simon.
„Karla habe ich ehrlich gesagt noch nie
richtig über den Weg getraut. Sie beschwert sich andauernd über dieses und
jenes. Meinst du, sie hat den Nikolaus um den Finger gewickelt und mit ihm zusammen
den Plan geschmiedet, an viele Plätzchen zu kommen, damit sie selbst zu
Weihnachten nicht backen muss? Sie liebt Kekse und hasst es zu backen.“
„Das müssten wir beweisen. Wir können
uns ja auf ihr Grundstück schleichen und im Geräteschuppen nachsehen, ob sich
der Nikolaus dort versteckt.“
Gemeinsam stapften Gerd und Simon durch
den Schnee und näherten sich vorsichtig dem Haus der Kräuterhexe. Kerzenlicht
schimmerte durch die kleinen Holzfenster. Sie schlichen an der Hauswand vorbei
und gingen zu dem Schuppen auf dem hinteren Teil des Grundstücks. Simon wäre
fast in der Dunkelheit über einen Holzscheid gestolpert, der von einem
Holzstapel auf den Weg gefallen war. Die Tür zum Schuppen war nur angelehnt,
ein schmaler Lichtstreifen von einer Laterne fiel nach draußen. Gerd öffnete
vorsichtig die Schuppentür und tatsächlich saß der Nikolaus auf einem Schemel,
eingehüllt in eine warme Decke. Neben ihm stand der Geschenke-Sack.
„Hey Nikolaus, du hast heute Nacht eine
wichtige Aufgabe zu erledigen. Warum versteckst du dich in Karlas Schuppen?“,
fragte Simon empört.
„Ihr habt ja Recht. Eigentlich müsste
ich schon im nächsten Dorf unterwegs sein und die Geschenke an die Kinder verteilen,“ er zeigte unglücklich auf den Geschenke-Sack, „Karla hat mich zu
diesem Theater überredet. Sie wollte unbedingt viele Weihnachtsplätzchen haben,
ohne dafür etwas zu tun. Es tut mir leid.“
Durch die Unruhe im Garten hatte Karla
gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Sie verließ ihr kleines Häuschen und lief in
Richtung Schuppen: „Gerd und Simon, was habt ihr in meinem Garten zu suchen?“
Als sie sah, dass die Schuppentür offen stand und ihr Spiel offensichtlich
durchschaut worden war, verstummte sie.
Der Nikolaus erhob sich von dem Schemel
und erklärte: „Ich muss dringend los. Es gibt viel zu tun heute Nacht.“
Karla stand wie ein begossener Pudel da
und jammerte: „Das kannst du nicht machen, Nikolaus. Das hatten wir anders
besprochen, du Verräter.“ Sie lief dabei rot an.
„Ich denke, Karla, jetzt musst du doch
selbst Plätzchen backen. Das war ziemlich dämlich, auf Kosten der Kinder so
einen gemeinen Plan zu schmieden. Pfui!“ Die Gesichtsfarbe von Gerd färbte sich
ebenfalls dunkelrot.
„Jetzt beruhigt euch wieder“, Simons
Stimme klang ruhig und feierlich, „zum Glück hat sich alles rechtzeitig
aufgeklärt. Der Nikolaus wird seine Runde noch schaffen und Karla hat bis
Weihnachten noch genug Zeit, um selbst zu backen.“
Gerd hatte sich wieder einigermaßen
gefangen und freute sich, dass er seine beiden Keksdosen wieder mit nach Hause
nehmen konnte.
„Wie wäre es, Karla, wenn wir in den nächsten Tagen gemeinsam Plätzchen in deinen Ofen schieben? Ich habe gehört, dass dir schon oft etwas angebrannt ist. Wir passen auf, dass dieses Mal alles gut klappt und du hast Heiligabend eine eigene Dose mit Plätzchen.“
Karla schaute unbehaglich von einem zum
anderen: „Ihr habt Recht, es war eine total dumme Idee. Kommt ihr am Wochenende
zum Backen vorbei? Dann trinken wir Tee und naschen zusammen. Warum bis
Heiligabend damit warten?“
.„Das machen wir. Jetzt ist mir richtig
kalt und ich möchte wieder in mein warmes Häuschen. Wir sehen uns übermorgen
bei dir, Karla.“ Gerd rieb sich die klammen Finger.
Dann gingen alle wieder nach Hause, bis
auf den Nikolaus, der heute Nacht noch allen Kindern kleine Geschenke in die
geputzten Schuhe stecken würde.
Und die Moral von der Geschicht‘:
Den Nikolaus entführen lohnt sich nicht.
Die
Kinder hatten voller Aufmerksamkeit Hannahs Geschichte gelauscht und sie klatschten
begeistert.
Ein
blondes Mädchen, das ganz vorne saß, meinte: „Stellt euch vor, der Nikolaus
wäre im Schuppen geblieben und die Kinder hätten keine Süßigkeiten bekommen,
wie gemein.“
Ein
Junge mit braunen Kulleraugen fragte Hannah: „Hast du das schon einmal erlebt,
dass nichts am Nikolaustag in deinem Stiefel war?“
„Zum
Glück nicht“, erwiderte Hannah und lächelte den kleinen Jungen freundlich an, „vielleicht
gab es immer so mutige und schlaue Gnome, die den verschwundenen Nikolaus
aufgespürt haben.“
Hannah
freute sich, dass ihre Geschichte so gut angekommen war. Ihre innere Aufregung
hatte sich gelegt. Für einen kurzen Moment dachte sie an die frechen Jungs ihrer
Schule, für die sie bis vor kurzem immer nur ein Opfer gewesen war. Keiner von denen
hatte je einen Preis gewonnen oder war durch ein besonderes Talent aufgefallen.
„Apropos
Adventssüßigkeiten, heute dürft ihr ausnahmsweise naschen, nebenan könnt ihr
euch etwas Leckeres holen“, verkündete die Leiterin laut.
Die Kinder
standen auf und liefen begeistert zu den Süßigkeiten-Tellern.
Hannah
packte den Ausdruck ihrer Geschichte in ihren Rucksack.
„Du
hast wirklich Talent zum Schreiben, deine Figuren waren schön beschrieben. Es
hat Spaß gemacht, dir zuzuhören.“ Dieses Lob kam von der Kindergartenleiterin.
Hannah
wurde ein bisschen rot und freute sich besonders darüber, dass die Kinder so viel
Freude mit ihrer kleinen Adventsgeschichte
gehabt hatten. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Bei der nächsten
Lesung würde sie Anna, ihre beste Freundin, fragen, ob sie mitkommen wollte.
Frau
Müller gratulierte ihr und etwas später fuhr sie Hannah nach Hause. Während der
Heimfahrt schaute Hannah durch das
Autofenster und betrachtete die geschmückten und beleuchteten Häuser. Dieser Tag
war voller echtem Weihnachtszauber gewesen. Sie spürte dem Gefühl nach und nahm
sich vor, diesen Advent und Weihnachten in vollen Zügen zu genießen.
Fortsetzung folgt
Liebe
Leserinnen und Leser,
Weihnachtszauber
zu spüren, wünsche ich allen auf diesem Planeten.
Passt
gut auf Euch auf, seid nett zueinander, genießt Plätzchen, das Zusammensein mit
Freunden und Familie, Geschenke und seid gespannt, wie es hier auf diesem Blog
weitergehen wird.
Herzliche
Adventsgrüße von
der Autorin
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