#007.15 – Jessica – der Weg ist das Ziel
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute schreibe ich Euch,
wie es mit Jessica weitergeht.
Es ist einige Zeit vergangen.
Sommer, Herbst und Weihnachten sind vorbei.
Sie wohnt im zweiten
Stock links.
Der Weg ist das Ziel
Hagel trommelte gegen Jessicas Schlafzimmerfenster. Der Wecker zeigte 2.54 Uhr an. Erschrocken von dem Lärm am frühen Sonntagmorgen schlug sie die Augen auf, eben noch im Reich der Träume und jetzt in einer lautstarken Geräuschkulisse aus kleinen gefrorenen Eisstückchen. Es passte gut zu ihrer Gefühlslage. Vor zwei Tagen hatte Flo den Kontakt zu ihr offiziell nach einer Aussprache beendet. Nachdem ihre Bekanntschaft so hoffnungsvoll im Sommer begonnen hatte, war Jessica bei jedem Treffen oder Telefonat hin und her gerissen gewesen, ob sie wirklich eine Beziehung zu ihm aufbauen wollte. Sie mochte ihn sehr, manchmal hatte es sich stimmig angefühlt und kurz danach wollte sie einfach die Decke über den Kopf ziehen und sich verkriechen. Dieses zog sich über Wochen und Monate. Flo hatte nun aufgegeben und ihr mitgeteilt, dass er ihre Unschlüssigkeit satt hatte. Sie verstand sich selbst nicht, trotzdem konnte sie ihm die inneren Türen nicht dauerhaft öffnen. Erst hatten sie laut diskutiert, später hatte Flo seinen Arm um sie gelegt. Danach war er einfach nach Hause gefahren und Jessica wusste, dass er nie wieder kommen oder sich bei ihr melden würde.
Wenigstens hatte es letzten Sommer und Herbst einige innige und schöne gemeinsame Momente gegeben. In der Adventszeit hatte sich das Gefühlskarussell zugespitzt. Jessica war ihm gegenüber oft abweisend gewesen, hatte ein paar Verabredungen kurzfristig abgesagt, war dann einsilbig und kurz angebunden und innerlich auf der Flucht vor einer Entscheidung.
'Das habe ich jetzt davon', dachte sie, während sie dem Wettertreiben draußen lauschte. Traurigkeit breitete sich in ihr aus, Flo fehlte ihr jetzt schon. Aber was hätte sie tun können? Im Grunde war er zu früh nach ihrer Trennung von Michael in ihrem Leben aufgetaucht. Seine Aufmerksamkeit hatte sich gut angefühlt und hatte einige Wunden aus der Vergangenheit oberflächlich abgedeckt.
Der Hagel ließ langsam nach. Jessica verließ das Bett, fröstelte und trat ans Fenster. Draußen war alles mit einer weißen kalten Schicht bedeckt. Sie fragte sich, ob der Kater Spike in seiner Box im Treppenhaus schlief oder heute Nacht bei ihrem Nachbarn Unterschlupf gefunden hatte. Ein bisschen beneidete sie den Kater um seine Unabhängigkeit. Er kam und ging, wie es ihm gefiel,und wahrscheinlich kannte er Gefühle von Herzschmerz und innerer Zerrissenheit gar nicht.
Im Grunde waren die Monate Januar und Februar für Jessica schon immer schwierig zu ertragen gewesen, auch ohne Liebeskummer. Ständig war es kalt und dunkel, die glanzvollen Feiertage am Ende des vorherigen Jahres Geschichte. Bunte Weihnachtskugeln, Kerzen, Engel-Figuren wanderten wieder in die Kiste im Keller, die Wohnung wirkte leer und verwaist. Allerdings bezog sich Letzteres bei ihr nur auf die Weihnachtsdekoration, leider war die Entrümpelung ihrer Wohnung noch nicht beendet, geschweige denn in kleineren Schritten voran geschritten. Ausreden gab es viele: Zu viel zu tun bei der Arbeit, lieber die Lieblingsserie zur Entspannung schauen oder allgemein keine Energie.
Sie legte sich wieder ins Bett und rieb ihre kalten Füße auf dem Laken, damit sie warm wurden. Einfach wieder einzuschlafen, funktionierte nicht, auch wenn es mittlerweile nicht mehr hagelte. Eine Ahnung stieg in ihr auf, dass sie erst den ganzen Ballast der Vergangenheit los werden musste, bevor ein wirklicher Neustart für sie möglich war. Da konnte sie noch so lange über Flo grübeln, eigentlich war diese Geschichte nur ein einzelnes Symptom oder ein Puzzlestück in ihrem eigenen unordentlichen Altlasten-Universum. Aber an welcher Stelle könnte sie beginnen, die wirklichen Ursachen zu erforschen und aufzulösen?
Sie fiel wieder in einen unruhigen Schlaf und ein Traum bahnte sich seinen Weg. Jessica saß an einem Schreibtisch bei einem ihrer früheren Arbeitgeber. Dort hatte sie mehrere Vorgesetzte, zwei davon zeigten oft ein machtbesessenes und cholerisches Verhalten. Deshalb hatte sie vor vielen Jahr dort gekündigt. Diese beiden Chefs traten vor ihren Arbeitstisch und beschimpften sie lautstark auf das Übelste. Im Traum brach sie in Tränen aus und brachte kein Wort der Gegenwehr heraus. Der ältere Chef hatte auf einmal die Gesichtszüge ihres Vaters und sie zuckte zusammen. Dann folgte ein plötzlicher Szenenwechsel zu einer Frühlingsidylle am Deich. Schafe grasten, die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Sie saß mit einem Abteilungsleiter ihrer Ausbildungsfirma auf einer Bank, zu dem sie damals einen guten Draht gehabt hatte. Er hatte ihr stets vermittelt, dass er sie für fähig, wertvoll und kompetent hielt. Auf dieser Bank neben der Schafherde wollte er sie für eines seiner Projekte begeistern und sie in sein Team holen. Von so einer Arbeit hatte sie ihr ganzes Berufsleben geträumt und sagte mit Blick auf kreischende Möwen am Himmel zu, ohne lange zu überlegen. Plötzlich verdunkelte das hämische, feiste Gesicht des bösen Chefs aus der ersten Traumszene den Himmel. Mit klopfenden Herzen erwachte sie. Ein diffuses Licht sickerte ins Schlafzimmer. Draußen war eine Krähe zu hören, keine Möwe.
Jessica freute sich, dass sie wieder warme Füße hatte und spürte eine leichte Verwirrung wegen des Traums. Was hatte das zu bedeuten? Die Uhr auf dem Nachtschränkchen zeigte jetzt 7.27 Uhr an.
'Ich bin traurig wegen Flo, das ist nicht zu ändern. Auf das, was ich jetzt konkret tun kann, sollte ich mich konzentrieren', dachte sie und lauschte in die sonntägliche Stille. Flo war zwar aus ihrem Leben verschwunden, aber trotzdem ging es weiter. Es war höchste Zeit, endlich im Inneren und Äußeren aufzuräumen. Und heute würde sie damit beginnen, dran bleiben und Stück für Stück vorankommen. Sie stellte sich vor, dass Spike vor ihr stand und maunzte. Sie interpretierte es als: „Der Weg ist das Ziel.“ Einfach an einer Stelle anfangen, zum Beispiel heute den chaotischen Wohnzimmerschrank aufräumen und im Internet nach passenden Fortbildungen zur Verwirklichung ihrer beruflichen Träume recherchieren. Das war ein guter Plan und Anfang für diesen trüben Sonntag Mitte Februar. Der Liebeskummer würde zwar bleiben, aber irgendwann könnte sich wieder eine neue Tür öffnen.
Diese Gedanken waren tröstlich und Jessica beschloss, den ersten Kaffee im Bett unter der warmen Decke zu trinken und Flo dabei viele gute und dankbare Gedanken zu schicken.
Fortsetzung folgt
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