#007.12 Jessica – Italienische Momente
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute hat Jessica
italienische Momente in ihrer Mittagspause.
Sie wohnt im 2.
Stock links.
Italienische Momente
Am Donnerstag um 12.15 Uhr verließen Jessica und ihre Arbeitskollegin Mara das Büro. Sie hatten vormittags viele Vorgänge erledigt und wollten beim Italiener um die Ecke einmal Luft holen, ohne auf einen Bildschirm zu schauen. Es war Zeit für eine Pause mit himmlischer Pasta, kitschiger italienischer Musik aus unsichtbaren Lautsprechern und Cappuccino. Bei „Mario“ angekommen, studierten die beiden Frauen die Mittagskarte. Von Pasta über Pizza bis zu Fisch-Gerichten gab es eine leckere Auswahl.
„Das ist genau das Richtige“, stellte Mara fest, „jetzt möchte ich einen Teller Nudeln nach dem Marathon im Büro.“
„Stimmt, es war anstrengend vorhin. Das Telefon hörte überhaupt nicht auf zu klingeln.“
Der Restaurantleiter begrüßte die beiden und führte sie zu einem ruhigen Platz mit Blick auf einen grünen Innenhof.
Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten, wandte sich Jessica an Mara: „Sag mal, Mara, bevor du vor einem halben Jahr mit Tom zusammen gekommen bist, warst du doch längere Zeit Single. Du hast damals ab und zu erzählt, dass du einige Dates hattest. Ich habe morgen eines und brauche noch ein paar Tipps von dir.“
„Spannend, dass du dich nach so kurzer Zeit mit einem Mann triffst. Hast du ein Profil auf einem Online-Dating-Portal veröffentlicht?“
„Nein, wir haben uns auf einem Möbelhaus Parkplatz kennengelernt. Er hat mir geholfen, meinen sperrigen Einkauf zu verladen. Dann haben wir einen Kaffee zusammen getrunken. Ich habe leider keine Ahnung, wie es heutzutage so läuft.“
Mara grinste. Der Kellner mit der langen Schürze servierte mit einem charmanten Lächeln die Getränke. Die Musik im Hintergrund erinnerte an einen Italien-Urlaub.
„Es ist selten, jemanden im analogen Leben kennenzulernen. Heute sind die meisten Singles online unterwegs. Dabei hat man bzw. Frau vermeintlich eine große Auswahl, aber oft steckt nichts Ernsthaftes dahinter. Es ist ziemlich beliebig geworden.“
„Wie meinst du das?“, fragte Jessica.
„Ich war insgesamt drei Jahre Single und manchmal kam es zum Beispiel vor, dass sich ein Mann, mit dem ich einen netten Kontakt hatte, gar nicht mehr gemeldet hat. Von einem Tag auf den anderen gab es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Er hat in dem Fall ein besseres Match als mich gefunden und ist auf Tauchstation gegangen. Das nennt man „Ghosting“, ein Geist verschwindet einfach und wird nie wieder gesehen.“
„Unhöflich, so ein Geist“, meinte Jessica, „wenn es nicht passt, ist es doch kein großer Aufwand, eine entsprechende Nachricht zu schreiben oder anzurufen?“
„Viele geben sich keine Mühe mehr. Auf dem Dating Markt ist jeder oder jede schnell austauschbar. Ich habe mich meistens wertschätzend gegenüber Männern verhalten, die für mich nicht in Frage kamen. Du hast recht, eine Nachricht oder ein Anruf sollte ein gesellschaftlicher Standard sein.“
„Und in welchen Fällen warst du nicht wertschätzend?“, wollte Jessica wissen.
Sie wurden von dem freundlichen Kellner unterbrochen, der ihnen zwei Teller mit dampfender Pasta hinstellte.
„Das erfreut mein Herz, vielen Dank“, Mara strahlte den Kellner an.
„Lassen Sie es sich gut schmecken.“
Mara verteilte großzügig Parmesan-Käse über die Spaghetti.
„Zurück zu deiner Frage. Manchmal kamen so schräge Nachrichten, dass ich entweder gar nicht reagiert habe oder mit ein oder zwei Worten.“
„Was meinst du mit schrägen Nachrichten. Wollten die Herren in der ersten Nachricht deine Körbchen-Größe wissen?“
„So ähnlich und schlimmer. An eine Nachricht erinnere ich mich besonders gerne. Jemand schrieb: „Lust aufn Date? LG“. Als ich das las, habe ich schallend gelacht und geantwortet: „Nö. LG“. Der Typ hatte ein Auto-Profilbild. Viele Männer fotografieren sich in ihrem Auto oder davor. Das ist nicht meine Welt, um es vorsichtig zu formulieren“, Mara grinste und widmete sich ausgiebig den Spaghetti.
„Das kann ich verstehen, lieber ein Bild in der Natur oder ein gutes Portrait-Foto.“
„Ich möchte online Dating nicht generell verteufeln. Ich hatte auch Begegnungen mit richtig tollen Männern. Man darf das Ganze aber nicht so ernst nehmen. Zur Kontaktaufnahme ist es nützlich, nur hatte ich neben den interessanten Männern auch Kontakte zu seltsamen Gestalten, mit denen ich mich auseinander setzen musste.“
Jessicas Neugier war jetzt vollends geweckt: „Welches war denn dein merkwürdigstes Date? Natürlich nur, wenn du es erzählen möchtest.“
Mara lachte: „Meistens hatte ich ein gutes Gespür dafür, mit wem sich ein Treffen wirklich lohnt. Einmal allerdings lag ich voll daneben. Es war ein ziemlich deprimierender Nachmittag.“
„Erzähl.“
„Ich war zu einem Spaziergang verabredet und fand den Mann, so wie wir schrieben, richtig sympathisch. Aber im Laufe des Nachmittags hat er mir eine persönliche Katastrophe nach der anderen offenbart. Es fing immer mit den Worten „ich muss dir noch etwas gestehen...“ an..Dann folgte die Schilderung eines Dramas. Überspitzt gesagt war dieser Mann krank, nicht mehr arbeitsfähig, finanziell ruiniert und hatte in der Vergangenheit einige toxische Beziehungen in filmreifen Ausmaß erlebt. Mir wurde beim Zuhören bei so viel Unglück und Dramatik schwindelig und am liebsten hätte ich mich an Ende des Tages selber in einen Fluss gestürzt.“
„Gut, dass du das nicht getan hast. Ich nehme an, du wolltest ihn nicht wiedersehen.“
„Stimmt genau. Das war einfach zu viel. Aber es gab auch schöne Dates. Trotzdem freue ich mich, dass ich mit Tom aktuell so eine gute Zeit habe. In der Single-Phase habe ich mich selbst gut kennengelernt. Auch jemand wie dieser Mann, der das Unglück in seinem Leben magisch angezogen hat, hat mir geholfen, mir darüber klar zu werden, was ich will und was nicht.“
„Ich denke, dieser Typ hätte vielleicht erst einmal sein Leben aufräumen sollen, bevor er sich mit dir trifft“, Jessica blickte nachdenklich vor sich hin.
„Einige, auch Frauen, wollen von einer anderen Person gerettet werden, aber jeder und jede ist für sich selbst und persönliche Baustellen verantwortlich. Das kann einem niemand abnehmen“, Mara zog bei diesen Wort die Augenbrauen hoch, Die Teller waren leer und der Kellner kam, um sie abzuräumen.
„Haben wir noch Zeit für einen Cappuccino?“, fragte Mara.
„Ich glaube, unser Büro ruft. Aber wir können uns ja nächste Woche wieder hier treffen. Dann erzähle ich dir ausführlich von meinem Treffen und du berichtest mir von den tollen Single-Männern, die da draußen online und offine herumlaufen“, schlug Jessica vor.
„Also, die Rechnung, bitte.“
Draußen sagte Mara: „Ein Mittagsschläfchen wäre super.“
„Der alte Kater, der bei mir im Haus wohnt. braucht viele Mittagsschläfchen am Tag. Manchmal liegt auf meiner Fußmatte, wenn ich nach Hause komme.“
„Das ist doch niedlich. Wir müssen, statt Mittagsschlaf zu halten, einen Bürokaffee trinken, um den Rest vom Tagespensum zu schaffen.“
Der Nachmittag gestaltete sich trotz des anfänglichen Mittagstiefs als produktiv. Die Dichte der Telefonanrufe hatte auch abgenommen. Jessica fuhr nach Hause. Auf ihrer Fußmatte lag Spike und hatte die Augen geschlossen.
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Fortsetzung folgt
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