#007.9 – Jessica – ein kleines Pflänzchen
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Jessica richtet sich
weiter ein.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Ein kleines Pflänzchen
„Du hast doch nicht etwa einem wildfremden Mann deine Handynummer gegeben?“, Thorsten ließ den Akku-Schrauber sinken und schaute Jessica vorwurfsvoll an.
„Doch, er war so freundlich und hat mir geholfen, diesen riesigen Karton“, dabei zeigte sie auf den Stapel großer Pappstücke, „in dein Auto zu verladen. Außerdem weiß er nicht, wo ich wohne und kennt nur meinen Vornamen.“
Thorsten schüttelte den Kopf, während er sich wieder den Schrankeinzelteilen widmete. Wenn alles zusammen gebaut war, sollte das gute Stück in Jessicas Flur seinen Platz finden.
„Eine meiner Arbeitskolleginnen hat mir neulich erzählt, dass sie vor ein paar Tagen ein Mann in der Fußgängerzone halbwegs verfolgt hat. Er wollte unbedingt ihre Handynummer haben und mit ihr Kaffee trinken, sogar noch, als sie ihm erklärt hatte, dass sie verheiratet sei. Das ist krass und meine Kollegin fand diese Situation richtig unheimlich.“
Jessica schaute nachdenklich auf Thorstens Werkzeugkasten: "Das fände ich auch gruselig. Bei mir lief es allerdings anders ab. Der Mann, er heißt übrigens Florian, war höflich und hat mich nicht bedrängt.“
„Bitte passe trotzdem auf dich auf“, bat Thorsten, während er weiter mit der Schranktür hantierte.
Jessicas Handy brummte. Es war eine Nachricht, bei der kein Name angezeigt wurde.
Hallo Jessica, bist du gut mit deinem großen Paket nach Hause gekommen? Brauchst noch Hilfe beim Zusammenschrauben oder vielleicht seelischen Beistand, falls Schrauben fehlen oder die Anleitung nur auf chinesisch ist? :-) Ich rufe dich morgen Abend an und freue mich, wenn wir dann einen Termin für einen Spaziergang finden. Noch ein schönes Wochenende wünsche ich dir, liebe Grüße von Florian
„Lass mich raten, diese Nachricht kam von diesem Florian. Kannst bitte einmal das Seitenteil festhalten?“
„Na klar“, Jessica hockte sich neben Thorsten und hielt das Holzbrett fest, „wenn wir uns nicht so lange kennen würden, könnte man fast vermuten, dass du eifersüchtig bist.“
Thorsten setzte den Akku-Schrauber an und versenkte die Schraube im Holz.
„Wie lange kennen wir uns? Zehn Jahre ungefähr, glaube ich. Nein, ich kann dich beruhigen. Natürlich fand ich dich am Anfang richtig toll, aber dann warst du ja irgendwann mit Michael zusammen.“
„Oh, das war mir gar nicht bewusst. Ich fand unseren Kontakt immer richtig gut, weil du mir prima die männliche Sicht auf alles erklären konntest.“
Jetzt schaute Thorsten sie direkt an: „Sagst mir Bescheid, wann und wo du dich mit ihm treffen wirst? Nur zur Sicherheit, ich werde euch nicht verfolgen, keine Angst.“
„Das mache ich. Es gibt mir auch ein besseres Gefühl. Schließlich bin ich in diesem Thema total ungeübt. Was ist mit dem zweiten Seitenteil?“
Nach einer Viertelstunde war der Schrank fertig aufgebaut und Thorsten schob ihn an seinen geplanten Platz. Dann räumte er sein Werkzeug ein und Jessica holte Getränke aus dem Kühlschrank.
„Wie wäre es mit einer Erfrischung auf dem Balkon?“, fragte sie.
Thorsten erklärte ihr, während sie gemütlich unter dem Sonnenschirm saßen, was aus seiner Sicht für Jessicas erstes Date wichtig sein könnte.
Später begleitete sie Thorsten nach unten, beladen mit dem Stapel Pappe, der eben noch neben dem neuen Schrank im Flur gelegen hatte.
„Danke, dass du mir dein Auto geliehen hast und für deine Hilfe beim Schrankaufbau“, sagte sie, während Thorsten in sein Auto stieg, nachdem das Werkzeug verladen war.
„Gern geschehen. Spannend, sobald du losfährst, um einen Schrank zu kaufen, steht gleich ein Mann auf der Matte und möchte ein Date mit dir, unglaublich. Passe gut auf dich auf und sag Bescheid, falls du in Männerdingen einen Rat brauchst“, Thorsten grinste und schloss die Autotür. Jessica trat ein wenig beiseite und winkte ihm zu, als er vom Hof fuhr. Sie nahm die Pappe wieder in die Hände und trug alles zum Altpapier-Container.
Spike, der Kater, hatte es sich im Schatten des Containers gemütlich gemacht. Es war sehr warm geworden. Nachdem die Pappe in dem großen Behälter verschwunden war, kraulte Jessica das Tier noch eine Weile. Spike schnurrte wie ein kleines Kätzchen, obwohl er ein Kater-Großvater war.
Oben in ihrer Wohnung schaute sie wieder auf ihr Mobiltelefon und las Florians Nachricht noch einmal, sie antwortete, nachdem sie ihn als neuen Kontakt eingespeichert hatte:
Lieber Florian, danke für dein Hilfsangebot. Zum Glück war die Anleitung einigermaßen verständlich und Unterstützung hatte ich auch. Der Schrank steht in meinem Flur und riecht ganz neu. :-) Morgen Abend bin ich zu Hause, wir können gerne telefonieren. Einen schönen Abend und liebe Grüße von Jessica PS Was ist mit deinen neuen Kellerregalen? Sind sie schon aufgestellt? ;-)
Später im Bett schrieb sie folgende Zeilen in ihr Notizbuch.
Sommerleichtigkeit
Ein Lächeln im
Sonnenschein,
galt das mir?
Gerade jetzt und hier?
Kann es
sein,
während die Schmetterlinge tanzen
und die Blumen alles
geben,
dass in meinem Leben,
so wie gerade draußen,
ein
neues Pflänzchen
schüchtern aus dem Boden schaut?
Es macht
noch kein Tänzchen,
weil es sich das noch nicht traut,
staunend
wird aber alles betrachtet
und darauf geachtet,
vorsichtig die
Blätter auszustrecken
und dabei nicht anzuecken.
Auch
unbedingt im Auge behalten:
Die Schnecken.
Noch ist es ein
Pflänzchen,
aber an einem verlässlichen Ort
mit ausreichend
Wasser, gutem Boden und Licht
und viel (Um)Sicht
kann es größer
werden und wachsen,
Blüten ansetzen - erst als Knospen
dann
sich öffnen und strahlen,
bunte Farben malen,
der Sonne
entgegen,
auf ganz neuen leichten und luftigen Wegen,
nicht
umgeben von Schnecken,
denn die hocken in dunklen Hecken,
sondern
Schmetterlingen,
deren Tänze und Musik nach Sommer klingen,
sich weiter langsam nach oben bewegen.
Grover Washington jr.: Summer chill
Fortsetzung folgt
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