Sonntag, 31. Juli 2022

#007.10 – Jessica - Klamottenberg

 

#007.10 – Jessica - Klamottenberg

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute sortiert Jessica ihren Kleiderschrank, schließlich hat sie
wahrscheinlich bald ein erstes Date mit ihrem Helden vom Möbelhaus-Parkplatz.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.

Klamottenberg


 
In Jessicas Wohnung war es himmlisch ruhig an diesem Sonntagmorgen. Alle Nachbarn schliefen anscheinend noch. Jessica hatte sich einen Becher Kaffee mit ins Bett genommen und war im Flur an ihrem neuen Schrank vorbei gelaufen. Beim Einkauf des Schranks gestern hatte sie Florian kennengelernt, der ihr beim Einladen des großen Kartons geholfen hatte. Er hatte sie zu einem Kaffee eingeladen und dabei wurden Telefonnummern ausgetauscht. Heute abend wollte sich Florian bei Jessica melden, um ein Wiedersehen zu planen.

Jessica stellte bei sich selbst fest, dass sie aufgeregt war. Die Gedanken liefen in ihrem Kopf hin und her. Gerade hatte sie sich ein wenig in ihrem neuen Singledasein eingerichtet und schon kam ein, zugegebenermaßen, netter Mann um die Ecke. Aber war das alles nicht viel zu früh? 'Wahrscheinlich sollte ich nicht so viel darüber grübeln, sondern lieber schauen, was passiert. Spike, unser Kater, würde genauso handeln. Spikes Lebensphilosophie ist für alle Lebenslagen passend ', dachte sie, während sie einen großen Schluck Kaffee trank, 'auf jeden Fall schaue ich nachher in meinem Kleiderschrank, was er für ein erstes Date hergibt.'

Gesagt, getan, nach dem Frühstück stand sie vor ihrem übervollen Schrank, der außerdem sehr unordentlich war. Die Kleidungsstapel waren teilweise halb umgekippt, weil sie ein Teil in Eile von unten herausgezogen hatte. Er war außerdem wenig sortiert und strukturiert. 'Ein großer Schrank voll gestopft mit gar nichts anzuziehen', war ihr Gedanke dazu.

Sie erinnerte sich an Aufräum-Tipps aus dem Internet:

  • Alles aus dem Schrank räumen,

  • die Sachen, die sie liebte, als erstes heraussuchen und dabei dem guten Gefühl nachspüren, weil alle anderen Kleidungsstücke sich daran messen mussten.

  • Dann noch die Unterscheidung treffen, wenn ein Teil zwar kein Lieblingsstück, aber praktisch war, z. B. ein hautfarbenes Top zum Unterziehen.

  • Schrank gründlich putzen

  • Kleidung, die bleiben sollte, ordentlich wieder einräumen

  • Aussortierte Kleidung schnell aus der Wohnung bringen, damit diese nicht doch wieder den Weg zurück in den Schrank finden konnte …

Genau nach diesem Schema ging Jessica vor. Der Klamottenberg auf ihrem Bett war mindestens so hoch wie die Zugspitze. Jessicas Elan sank bei dem Anblick gegen null, aber nun hatte sie begonnen und keine andere Chance, als weiter zu räumen. Ansonsten musste sie heute Nacht auf ihrem Sofa schlafen. Ja, die Lieblingsteile, im Endeffekt waren es nicht viele. Nach der Trennung hatte sich Jessicas Sicht auf die Dinge, auch auf ihre Kleidung, verändert. Sie probierte ein Kleid an, was sie mit Michael zusammen gekauft hatte. An sich war es schön, fühlte sich gut an, trotzdem wusste Jessica in diesem Moment, dass dieses Kleid ausgedient hatte. Es gehörte in eine andere Zeit, zu einer anderen Jessica.

Die ganze Aktion war ziemlich anstrengend, es kamen so viele Erinnerungen hoch. Der Stapel der aussortierten Kleidung wuchs unaufhörlich. 'Wenn das so weiter geht, habe ich für mein Treffen mit Florian gar nichts zum Anziehen', dachte sie alarmiert.

Ab einem gewissen Punkt gegen frühen Nachmittag war ihre Entscheidungsfreudigkeit stark geschrumpft. Jessica war hungrig und fühlte sich innerlich wie leer gefegt. Gut, dass noch eine Tiefkühlpizza im Gefrierfach lag. Während der Ofen heizte, saß sie in der Küche und dachte an die Klamottenberge in ihrem Schlafzimmer. Sie hatte kaputte Strumpfhosen gefunden, einige uralte T-Shirts, die für irgendwelche Renovierungsarbeiten aufgehoben worden waren, Röcke, die keine Luft zum Atmen ließen, weil sie aktuell nicht Jessicas Kleidergröße entsprachen, aber auch zeltartige Gewänder (seltsamer oversize-Style), die garantiert für alles Schöne im Leben ungeeignet waren. Kleidung der Kategorie „kaputt“ und „uralt/ausgewaschen“ sollte gleich im Anschluss an die Pizza in dem Müllbehälter unten im Hof entsorgt werden. Damit wäre ein nicht unerheblicher Teil aus Jessicas Augen und das Bett wieder teilweise sichtbar.

Jessica seufzte. Das Entrümpeln hatte sie sich schon seit ihrem Umzug vorgenommen und einige kleine Aktionen gestartet, aber so richtig voran gekommen war sie bis jetzt nicht. Es kostete auf eine seltsame Art viel emotionale Kraft. An vielen Dingen klebten Erinnerungen und teilweise verdrängte negative Gefühle. Nach dem Umzug hatte sie selten ein Glücksgefühl beim Einräumen ihrer Sachen verspürt, so als läge über vielem ein dunkler Schatten.

Zum Beispiel dachte sie an einen Kaffeebecher in ihrem Schrank, der ein hübsches Blumenmuster hatte. Jessica hatte ihn von einer ehemaligen Nachbarin vor ein paar Jahren zum Geburtstag bekommen. Ab und zu traf sich Jessica noch mit dieser Bekannten. Nach den Treffen fühlte sie sich fast immer kraftlos und leer, weil diese Nachbarin gerne negative Szenarien ausschmückte, egal ob es um Weltpolitik oder Mitmenschen aus dem direkten Umfeld ging. Stets waren nach ihrer Ansicht böse Absichten im Spiel. Den Becher von dieser Bekannten benutzte Jessica fast nie. Es schien, als klebten an ihm sämtliche schwarze Löcher der Psyche dieser Frau und ein harmloses Getränk verwandelte sich darin in einen seelisch giftigen Cocktail. Noch bevor die Pizza fertig gebacken war, ging Jessica bei diesen Gedankengängen an den Küchenschrank, nahm den Becher heraus und warf ihn mit Schwung in den Mülleimer. Der Henkel brach dabei ab. Sofort stellte sich ein Gefühl von Leichtigkeit und Frische ein.

Motiviert von dem weggeworfenen Kaffeebecher und der leckeren Pizza setzte Jessica ihr Kleiderschrank-Projekt fort. Sie arbeitete sich durch große Mengen an Shirts, Blusen, Kleidern, Jeans, Blazern (einer durfte bleiben, alle anderen lösten in Jessica beklemmende, einengende Gefühle aus), Pullovern. Es schien kein Ende nehmen. Da war ein Pullover, dessen Existenz Jessica schlichtweg vergessen hatte, und noch ein T-Shirt, an dem sogar noch das Preisschild hing. Das Schild hatte einen roten „Sale“-Aufkleber. Jessica dachte wieder an das schockierende Haul-Video, das sie neulich im Internet gesehen hatte. Die junge Frau in dem Video hatte Unmengen an Kleidung in einem Billig-Laden eingekauft und ihre Beute vor ihre Kamera gehalten. Dabei betonte sie oft, dass sie dieses oder jenes Stück wahrscheinlich niemals anziehen würde, trotzdem musste sie es kaufen, weil es billig war. Jessica wurde klar, dass sie keinen Deut besser konsumiert hatte als die junge Frau in dem Video, allerdings hatte sie die vielen Sachen auf ihrem Bett nicht bei einem Einkauf, sondern im Laufe vieler Jahre angesammelt.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, den Schrank richtig zu putzen. Jessica holte noch kleine Stoffsäckchen, die mit getrockneten Lavendel-Blüten gefüllt waren, aus ihrem neuen Flurschrank und verteilte sie an der Kleiderstange und in den Regalfächern. Es duftete wie ein Lavendelfeld in Südfrankreich in ihrem Schlafzimmer. Eigentlich hätten nach ihrem Empfinden je zehn Teile aus jeder Kategorie gereicht, um beim Anblick der geöffneten Kleiderschranktüren ein befreites, glückliches Gefühl zu haben, aber es waren natürlich viel mehr Kleidungsstücke einzusortieren. Noch war sie nicht soweit, dass sie wirklich so viele Sachen gehen lassen konnte.

Aus dem Wohnzimmer hörte Jessica ihr Handy klingeln. An Florian hatte sie in den letzten Stunden gar nicht mehr gedacht.

Hallo Jessica, wie geht es Dir?“, fragte Florian, nachdem sie sich gemeldet hatte.

Mir geht es gut. Ich entrümple gerade meine Wohnung, das ist anstrengend aber befreiend. Und Du, wie hast du diesen Sonntag verbracht?“

Ich habe natürlich die ganze Zeit an dich gedacht“, Florian lachte, während er das sagte, „wie sieht es aus, wollen wir uns am Freitag treffen? Ich habe ab 16.00 Uhr Zeit.“

Das passt bei mir. Treffen wir uns im Park? Da gibt es auch ein kleines Café.“

Ja, gerne. Also, Freitag um 16.00 Uhr im Park Café. Ich freue mich. Dann wünsche ich dir noch viel Erfolg beim Aufräumen und einen schönen Abend.“

'Dieser Mann kommt wirklich schnell auf den Punkt', dachte Jessica dabei grinsend. Sie wünschte Florian auch einen schönen Abend und dann war ihr Telefonat beendet.

Jessica räumte noch alles ein, was bleiben sollte, und holte Wäschekörbe für die aussortierte Kleidung. Der Müll-Anteil war schon im Abfallbehälter draußen verschwunden.

'Das reicht für heute, Schluss, aus, Ende.'

Eine Nachricht schrieb sie noch an ihre Freundin Tina:

Hey Tina, wollen wir uns nächste Woche nach Feierabend in der Stadt treffen? Ich brauche dringend etwas Schönes und Neues zum Anziehen für einen besonderen Anlass und deine fachfrauliche Beratung ;-). Nähere Details gerne beim Getränk/Pizza nach dem Einkauf. Liebe Grüße von Jessica

Unter der Dusche vor dem Schlafengehen hatte Jessica das Gefühl, als würden mit dem ablaufenden Wasser auch komische Erinnerungen, Stimmungen und negative Energien abfließen. Eine große Erleichterung breitete sich in ihr aus und sie freute sich darauf, Florian am Freitag zu treffen. Natürlich würde sie umwerfend in einem neuen Kleid oder vielleicht einer neuen Bluse und Jeans aussehen.

'Ich werde schrittweise alle Bereiche weiter aussortieren und Dinge mit schlechter Ausstrahlung und Erinnerung entsorgen oder spenden.'

Mit diesem Gedanken schlief Jessica erschöpft, zufrieden und traumlos ein.

Brian Culbertson: The Journey

Fortsetzung folgt

Dienstag, 19. Juli 2022

#007.9 – Jessica – ein kleines Pflänzchen

 

#007.9 – Jessica – ein kleines Pflänzchen

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Jessica richtet sich weiter ein.
Sie wohnt im 2. Stock rechts. 

Ein kleines Pflänzchen



 „Du hast doch nicht etwa einem wildfremden Mann deine Handynummer gegeben?“, Thorsten ließ den Akku-Schrauber sinken und schaute Jessica vorwurfsvoll an.

Doch, er war so freundlich und hat mir geholfen, diesen riesigen Karton“, dabei zeigte sie auf den Stapel großer Pappstücke, „in dein Auto zu verladen. Außerdem weiß er nicht, wo ich wohne und kennt nur meinen Vornamen.“

Thorsten schüttelte den Kopf, während er sich wieder den Schrankeinzelteilen widmete. Wenn alles zusammen gebaut war, sollte das gute Stück in Jessicas Flur seinen Platz finden.

Eine meiner Arbeitskolleginnen hat mir neulich erzählt, dass sie vor ein paar Tagen ein Mann in der Fußgängerzone halbwegs verfolgt hat. Er wollte unbedingt ihre Handynummer haben und mit ihr Kaffee trinken, sogar noch, als sie ihm erklärt hatte, dass sie verheiratet sei. Das ist krass und meine Kollegin fand diese Situation richtig unheimlich.“

Jessica schaute nachdenklich auf Thorstens Werkzeugkasten: "Das fände ich auch gruselig. Bei mir lief es allerdings anders ab. Der Mann, er heißt übrigens Florian, war höflich und hat mich nicht bedrängt.“

Bitte passe trotzdem auf dich auf“, bat Thorsten, während er weiter mit der Schranktür hantierte.

Jessicas Handy brummte. Es war eine Nachricht, bei der kein Name angezeigt wurde.

Hallo Jessica, bist du gut mit deinem großen Paket nach Hause gekommen? Brauchst noch Hilfe beim Zusammenschrauben oder vielleicht seelischen Beistand, falls Schrauben fehlen oder die Anleitung nur auf chinesisch ist? :-) Ich rufe dich morgen Abend an und freue mich, wenn wir dann einen Termin für einen Spaziergang finden. Noch ein schönes Wochenende wünsche ich dir, liebe Grüße von Florian

Lass mich raten, diese Nachricht kam von diesem Florian. Kannst bitte einmal das Seitenteil festhalten?“

Na klar“, Jessica hockte sich neben Thorsten und hielt das Holzbrett fest, „wenn wir uns nicht so lange kennen würden, könnte man fast vermuten, dass du eifersüchtig bist.“

Thorsten setzte den Akku-Schrauber an und versenkte die Schraube im Holz.

Wie lange kennen wir uns? Zehn Jahre ungefähr, glaube ich. Nein, ich kann dich beruhigen. Natürlich fand ich dich am Anfang richtig toll, aber dann warst du ja irgendwann mit Michael zusammen.“

Oh, das war mir gar nicht bewusst. Ich fand unseren Kontakt immer richtig gut, weil du mir prima die männliche Sicht auf alles erklären konntest.“

Jetzt schaute Thorsten sie direkt an: „Sagst mir Bescheid, wann und wo du dich mit ihm treffen wirst? Nur zur Sicherheit, ich werde euch nicht verfolgen, keine Angst.“

Das mache ich. Es gibt mir auch ein besseres Gefühl. Schließlich bin ich in diesem Thema total ungeübt. Was ist mit dem zweiten Seitenteil?“

Nach einer Viertelstunde war der Schrank fertig aufgebaut und Thorsten schob ihn an seinen geplanten Platz. Dann räumte er sein Werkzeug ein und Jessica holte Getränke aus dem Kühlschrank.

Wie wäre es mit einer Erfrischung auf dem Balkon?“, fragte sie.

Thorsten erklärte ihr, während sie gemütlich unter dem Sonnenschirm saßen, was aus seiner Sicht für Jessicas erstes Date wichtig sein könnte.

Später begleitete sie Thorsten nach unten, beladen mit dem Stapel Pappe, der eben noch neben dem neuen Schrank im Flur gelegen hatte. 

Danke, dass du mir dein Auto geliehen hast und für deine Hilfe beim Schrankaufbau“, sagte sie, während Thorsten in sein Auto stieg, nachdem das Werkzeug verladen war.

Gern geschehen. Spannend, sobald du losfährst, um einen Schrank zu kaufen, steht gleich ein Mann auf der Matte und möchte ein Date mit dir, unglaublich. Passe gut auf dich auf und sag Bescheid, falls du in Männerdingen einen Rat brauchst“, Thorsten grinste und schloss die Autotür. Jessica trat ein wenig beiseite und winkte ihm zu, als er vom Hof fuhr. Sie nahm die Pappe wieder in die Hände und trug alles zum Altpapier-Container.

Spike, der Kater, hatte es sich im Schatten des Containers gemütlich gemacht. Es war sehr warm geworden. Nachdem die Pappe in dem großen Behälter verschwunden war, kraulte Jessica das Tier noch eine Weile. Spike schnurrte wie ein kleines Kätzchen, obwohl er ein Kater-Großvater war.

Oben in ihrer Wohnung schaute sie wieder auf ihr Mobiltelefon und las Florians Nachricht noch einmal, sie antwortete, nachdem sie ihn als neuen Kontakt eingespeichert hatte:

Lieber Florian, danke für dein Hilfsangebot. Zum Glück war die Anleitung einigermaßen verständlich und Unterstützung hatte ich auch. Der Schrank steht in meinem Flur und riecht ganz neu. :-) Morgen Abend bin ich zu Hause, wir können gerne telefonieren. Einen schönen Abend und liebe Grüße von Jessica PS Was ist mit deinen neuen Kellerregalen? Sind sie schon aufgestellt? ;-)

Später im Bett schrieb sie folgende Zeilen in ihr Notizbuch.

Sommerleichtigkeit

Ein Lächeln im Sonnenschein,
galt das mir?
Gerade jetzt und hier?
Kann es sein,
während die Schmetterlinge tanzen
und die Blumen alles geben,
dass in meinem Leben,
so wie gerade draußen,
ein neues Pflänzchen
schüchtern aus dem Boden schaut?
Es macht noch kein Tänzchen,
weil es sich das noch nicht traut,
staunend wird aber alles betrachtet
und darauf geachtet,
vorsichtig die Blätter auszustrecken
und dabei nicht anzuecken.
Auch unbedingt im Auge behalten:
Die Schnecken.

Noch ist es ein Pflänzchen,
aber an einem verlässlichen Ort
mit ausreichend Wasser, gutem Boden und Licht
und viel (Um)Sicht
kann es größer werden und wachsen,
Blüten ansetzen - erst als Knospen
dann sich öffnen und strahlen,
bunte Farben malen,
der Sonne entgegen,
auf ganz neuen leichten und luftigen Wegen,
nicht umgeben von Schnecken,
denn die hocken in dunklen Hecken,
sondern Schmetterlingen,
deren Tänze und Musik nach Sommer klingen,
sich weiter langsam nach oben bewegen.

Grover Washington jr.: Summer chill

Fortsetzung folgt


Sonntag, 10. Juli 2022

#007.8 – Jessica – Cappuccio oder Kaffee Crema

 

#007.8 – Jessica – Cappuccio oder Kaffee Crema

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)

Jessica hat eine interessante Begegnung.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.

Cappuccino oder Kaffee Crema

Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der große Mann mit einem freundlichen Lächeln auf dem Parkplatz eines Möbelhauses. Jessica hantierte mit einem großen Paket, das alle Teile für einen kleinen Schrank enthalten sollte. Sie versuchte, das Paket ins Auto zu verladen. Ihr guter Freund Thorsten hatte ihr sein Auto für diesen unhandlichen Einkauf geliehen.

Oh ja, danke, irgendwie ist dieses Teil ziemlich sperrig“, antwortete sie. Mühelos schafften es die beiden, das Paket zu verladen. „Vielen Dank.“

Kaufen Sie öfter hier ein?“, fragte der Mann.

Ich bin vor kurzem umgezogen und dieser Schrank passt perfekt in meinen Flur.“

Etwas verlegen trat ihr Helfer von einem Bein auf das andere. „Darf ich Sie zu einem Kaffee in dem Möbelhaus-Bistro einladen? Ich habe meinen Einkauf auch schon im Auto verstaut und würde mich über nette Gesellschaft bei einem Kaffee freuen.“

Jessica überlegte. Sie hatte es an diesem Samstag nicht eilig. Allerdings war sie in allem, was in Richtung Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht nach den vielen Jahren Beziehung mit Michael ungeübt und unsicher. Aber, was hatte sie schon zu verlieren? Das war ein netter, gut aussehender und hilfsbereiter Mann, der sie zu einem Kaffee einlud. Vielleicht war das eine gute Gelegenheit, ein wenig zu flirten? 'Mal sehen, was passiert', dachte sie.

Ja, gerne. Ein Kaffee ist eine gute Idee. Schließlich habe ich später das Projekt „Schrankaufbau“ vor mir“, antwortete sie dem Fremden, „ich heiße übrigens Jessica.“

Mein Name ist Florian. Ich freue mich. Wollen wir uns duzen?“

Ja, gerne. Wirst du auch manchmal Flo genannt?“

Das kommt vor. Lass mich raten: Du bist wahrscheinlich der Cappuccino-Typ, oder?“

Stimmt. Und du trinkst nach einem guten Essen Espresso und zwischendurch Kaffee Crema, schwarz ohne alles?“

Florian lächelte: „Genau. Bei Kaffee habe ich eine schwarze Seele.“

Jessica ließ diese Aussage so stehen, während sie in Richtung Bistro gingen. Etwas Schlagfertiges oder Witziges fiel ihr in diesem Moment nicht ein.

Florian ging an den Kaffee Tresen und bestellte zweimal Kaffee in den besprochenen Zubereitungsarten. Jessica suchte einen ruhigen Tisch. Viele Menschen waren heute unterwegs, um nach Möbeln und Wohnaccessoires zu schauen. Florian näherte sich dem Tisch in einer Ecke mit einem Tablett.

Einmal Cappuccino für die Dame mit dem Flurschrank, bitte schön.“

Danke, der Kaffee wird mir den nötigen Antrieb für den Schrankaufbau geben. Was hast du hier heute eingekauft?“

Ein paar Regale für den Keller.“

Einen Augenblick lang rührten beide schweigend in ihren Tassen. Jessica wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, was heutzutage in Sachen Dating oder Flirten angesagt war. Michael hatte sie damals über Freunde kennengelernt. Es hatte sich ganz natürlich ergeben. Mit einem unbekannten Mann hier zu sitzen und Kaffee zu trinken, war richtig weit von ihrer Komfortzone entfernt. Sie bemerkte, dass Florian unauffällig ihre Hände musterte. Nein, da war kein Ehering oder ähnliches.

Neulich hatte sie kurz vor dem Aufwachen einen seltsamen Traum gehabt. Sie war in dem Haus gewesen, in dem sie zuvor gewohnt hatte. Aus dem Keller waren laute Maschinengeräusche zu hören gewesen, auf der Terrasse stand ein Wäscheständer, an dem neben Michaels Kleidung zwei ihrer Jeans trockneten. Im Traum hatte Jessica die beiden Jeans vom Wäscheständer genommen und sich über den Lärm aus dem Keller gewundert. Dann waren plötzlich Michael und eine unbekannte blonde Frau mit einer Weinflasche aufgetaucht. Jessica wünschte den beiden einen schönen Abend und verließ das Haus. Danach war sie wach geworden. Warum musste sie ausgerechnet jetzt an diesen merkwürdigen Traum denken?

Florian schaute ihr jetzt direkt in die Augen: “Warum bist du umgezogen? Hat dir deine alte Wohnung nicht mehr gefallen?“

Jessica überlegte, wie viele Informationen sie dem Fremden gegenüber preisgeben wollte. „Doch, meine vorherige Wohnung hat mir gut gefallen. Es haben sich einfach ein paar Umstände in meinem Leben geändert, deshalb bin ich umgezogen.“

Eine Trennung?“, fragte Florian direkt.

Ja, genau.“

Florian schwieg und Jessica wunderte sich darüber, dass sich dieses Schweigen angenehm anfühlte.

Ich bin immer ziemlich geradeaus, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es Zeitverschwendung ist, um den heißen Brei herumzureden. Du gefällst mir und ich würde dich gerne wiedersehen und besser kennenlernen. Ich bin auch Single“, Florians Blick wurde warm bei diesen Worten.

Warum nicht, wie wäre es demnächst mit einem Spaziergang?“, Jessica hatte den Cappuccino ausgetrunken und wollte auf einmal allein sein. Nicht, weil sie etwas gegen diesen freundlichen und attraktiven Mann hatte, sondern weil sich in ihr das Bedürfnis nach Ruhe meldete.

Einen Spaziergang finde ich prima. Wollen wir Telefonnummern austauschen?“, fragte Florian.

Blitzschnell überlegte Jessica, dass sie Florian auf ihrem Mobiltelefon blockieren könnte, falls mit ihm irgend etwas aus dem Ruder laufen würde. Er wusste nicht, wo sie wohnte und kannte nur ihren Vornamen. Also, warum nicht?

Ja, machen wir“, Jessica holte einen Stift aus ihrer Tasche und schrieb ihre Nummer auf eine Serviette. Florian tippte auf die Zahlen auf seinem Display und speicherte den Kontakt ab, als Jessicas Handy brummte.

Wann darf ich dich anrufen? Bist du abends erreichbar? Dann machen wir einfach etwas aus.“

Ja, ich bin abends zu erreichen. Vielen Dank für deine Hilfe und den Kaffee. Ich kann dir ja ein Bild schicken, wenn ich den Schrank aufgebaut habe.“

Falls du Hilfe brauchst, melde dich gerne bei mir. Ich habe auch passendes Werkzeug.“

Jessica und Florian standen auf und verließen das Bistro. Dann verabschiedeten sie sich auf dem Parkplatz.

Es war wirklich seltsam. Demnächst würde sie sich mit einem Mann verabreden, durch den Park schlendern, nach den richtigen Worten suchen. Jessica nahm sich vor, ihrem Kumpel Thorsten von ihrer Begegnung im Möbelhaus zu erzählen. Er hatte immer gute Tipps für alle Lebenslagen. Aber zuerst galt es, einen Schrank zusammen zu schrauben, nach dem Motto:

Selbst ist die Frau, die seit Jahren kein Möbelstück mehr neu gekauft und aufgebaut hat...

'Spannend dieses Single-Dasein. Ein Flirt in Kombination mit einem neuen Schrank. Was kommt noch alles auf mich zu?', überlegte sie.

Spike lief über den Parkplatz der Wohnanlage. Er brauchte keinen Schrank oder Flirt, nur sich selbst.

Norman Brown: Better days ahead

- Fortsetzung folgt -