#006.20 – Sarah – Regenbogen
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute kommt Sarah wieder
zu Wort.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Regenbogen
Ein donnerndes Gewitter hatte die erste Hitzewelle des Jahres beendet. Es war Samstag und draußen rauschte der Sommerregen, der wunderbar duftete und nach der Hitze ungemein erfrischend war.
An diesem Morgen in Sarahs Traum im Halbschlaf regnete es auch. Sie träumte vom Schlosspark der hessischen Stadt, in der Thomas wohnte. Hoch über der Stadt erhob sich majestätisch das Schloss, umgeben von dem verwunschenen Park. Es roch nach feuchter Erde, Gras und Blumen. In ihrem Traum hatten sich Thomas und sie leidenschaftlich geküsst und waren sich in einem Pavillon, der etwas abseits stand, sehr nahe gekommen.
Ein Brummen, das überhaupt nicht zu der Traumszene passte, bahnte sich den Weg zu Sarahs Ohr. Es war der Nachrichtenton ihres Handys. Normalerweise schaltete sie das Gerät nachts immer aus, aber gestern war sie von der Arbeitswoche so erledigt gewesen, dass sie es vergessen hatte.
Völlig verschlafen und noch gefangen in ihrem Traum griff Sarah nach dem Telefon. Ihr Kollege Matthias hatte ihr eine Nachricht geschickt.
'Wieso schickt er mir mitten in der Nacht Nachrichten?' fragte sie sich leicht verärgert. Gerne wäre sie einfach in ihrem prickelnden Traum geblieben. Das Telefon zeigte emotionslos 7.32 Uhr an.
Guten Morgen liebe Kollegin, es ist noch sehr früh, ich weiß. Trotzdem wollte ich Dich fragen, ob ich Dich heute Vormittag zum Frühstück in das Café Schröder einladen darf. Eigentlich wollte ich Dich gestern deswegen ansprechen, aber Du warst dann schon weg. Im Café Schröder könnten wir unter der Markise sitzen. Dort gibt es unter anderem sehr gute Bagels. Was meinst Du? Viele Grüße von Matthias
Gestern beim ersten Kaffee in der Büroküche hatten sie Telefonnummern ausgetauscht. Im ersten Moment hatte sich Sarah ein wenig überrumpelt gefühlt, als er sie nach ihrer privaten Telefonnummer gefragt hatte, andererseits war er ein netter Kollege, der ihr auch äußerlich gut gefiel. Der kleine Flirt tat ihr gut, nachdem sie sich eingestanden hatte, dass Thomas und sie wegen der weit entfernten Wohnorte höchstwahrscheinlich kein Paar werden würden. Diese Erkenntnis war ein melancholischer nagender kleiner Schmerz, der sich in ihr Innerstes hinein gebohrt hatte, wie ein Ministachel mit Widerhaken.
'Darauf antworte ich später', überlegte sie und zog sich die Decke über den Kopf. Leider klappte die Rückkehr in das Land der Träume nicht mehr. Im Traum hatte sie sich Thomas so unglaublich nah gefühlt, jetzt lagen wieder mehr als 400 Kilometer zwischen ihnen.
'Knutschen im Schlosspark finde ich eigentlich besser als ein Kollegen-Frühstück, aber vielleicht hilft Kaffee weiter', dachte Sarah. Dann hatte sie eine Idee.
Sie zog sich schnell eine Jeans und ein T-Shirt an, putzte die Zähne, kochte einen Kaffee und füllte das Getränk in ihren Thermobecher, noch schnell eine Banane in die Tasche gepackt und natürlich einen Regenschirm und los ging es in den Wald ein paar hundert Meter entfernt.
Die Luft draußen roch wie frisch gewaschen, durchatmen war nach der Hitzewelle auch wieder möglich. Auch wenn das Styling heute morgen ausgefallen war, fühlte sich Sarah großartig. Das Handy lag auf dem Küchentisch und niemand würde ihre Gedankengänge stören.
Da es noch so früh am Morgen war, begegnete ihr nur eine Frau, die ihren nassen Hund ausführte. Auf Sarahs freundliches „Guten Morgen“ schaute sie nur mit hängenden Mundwinkeln auf die andere Straßenseite.
Im Wald glänzten die Blätter vom Regenwasser und der erdige Geruch aus ihrem Traum wehte in ihre Nase. Nur Thomas fehlte. Immer noch stach der kleine Stachel der Melancholie. Sie hatte in Thomas einen Seelenverwandten getroffen, der eine ähnlich geschärfte Wahrnehmung hatte und ganz neue Zusammenhänge im Kleinen und Großen herstellen konnte. Außerdem war er ein Schöngeist und in ihrem Traum vorhin noch dazu ziemlich leidenschaftlich.
Sarah hatte den Ort erreicht, wo sie ihren Kaffee genießen wollte: Ein Holz-Pavillon am Rande des großen Spielplatzes, der verlassen und voller Pfützen im Morgenlicht lag. Die Regentropfen zauberten Kreise auf die Pfützenoberflächen und ein vergessenes rotes Sandförmchen war mit Wasser vollgelaufen.
Während sie den heißen Kaffee trank, schaute sie dem Regen zu und ließ ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf.
Also, was sollte sie ihrem Kollegen antworten? Wollte sie überhaupt in das schicke Café gehen? Bei dem Gedanken wanderte ihr Blick auf die mit Matsch vollgespritzten alten Turnschuhe, die sie immer bei Waldspaziergängen trug und nie putzte. Andererseits war Matthias sehr nett und lustig und konnte sie sicherlich auf andere Gedanken bringen. Manchmal fragte Sarah sich, ob ein Teil der Verstimmung, die sie zuweilen verspürte, der Pandemie geschuldet war. Es war höchste Zeit, das langsam wieder abzulegen und nach vorn zu sehen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Kochkurs? So etwas sollte doch demnächst wieder möglich sein. Oder die berufliche Fortbildung, die sie schon seit zwei Jahren anfangen wollte?
Nachdenklich packte sie den leeren Becher wieder in ihre Tasche.
'Danke Regen', dachte sie, 'also, gleich duschen, nein, erst die Nachricht beantworten, dann duschen und das schöne Kleid aus dem Schrank holen. Das Leben geht weiter, auch wenn der Traumprinz in Hessen im Schlosspark wandelt und gerade unerreichbar weit weg ist.'
Das einzige männliche Wesen auf dem Rückweg, das ihr begegnete, war kein Traumprinz sondern Spike, der Kater. Auch er hatte ein nasses Fell, aber irgendwie nie schlechte Laune wegen so einer Kleinigkeit. Er maunzte und Sarah ließ ihn ins Treppenhaus, wo er es sich in seiner Box in der Ecke gemütlich machte.
Das Telefon lag noch dem Küchentisch. Aus dem Küchenfenster war zu sehen, dass der Regen langsam nachließ und die Sonne kurz durch die Regenwolken schaute. Das waren ideale Voraussetzungen für einen Regenbogen.
Fortsetzung folgt
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