#006.12 – Sarah – Pfützenmuster
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute kommt Sarah wieder
zu Wort.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Pfützenmuster
Das zweite Osterfest, das von der Pandemie geprägt war, war vorbei. Sarah hatte sehr stille und zurückgezogene Ostertage erlebt, ein kurzer Besuch bei ihrer Mutter, ein paar Telefonate, mehr war nicht möglich gewesen. Am Ostermontag hatte sie allerdings Thomas Brief beantwortet. Sie wollte sich unbedingt für seine Geschenke bedanken.
Lieber Thomas,
vielen Dank für das kleine Päckchen, das am Donnerstag vor meiner Wohnungstür stand. Das Buch hat einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal bekommen, neben seinem unscheinbaren Bruder mit dem gleichen Inhalt.
Das Buddelschiff steht in meinem Badezimmer. Immer, wenn ich in meiner Badewanne abtauche und die restliche Welt draußen bleibt, kann ich es anschauen und mir vorstellen, wie wir beide am Ufer des Edersees sitzen (wo ich noch nie gewesen bin) und gemeinsam dem Spiel der Wellen zusehen. Ich stelle mir vor, dass Du ein Mensch bist, mit dem ich einfach schweigen könnte, ohne dass es sich komisch anfühlt, ein einträchtiges und entspanntes Schweigen, das sich selbst genügt. Ich habe in meinem Leben selten Menschen getroffen, mit denen das möglich war.
Ich beneide Dich um Deinen besonderen Ort, an den Du Dich zurückziehen kannst. Wasser hat eine besondere Wirkung. Als Kind habe ich sehr gerne mit einem Stock oder Blättern in Pfützen gerührt und die Verwirbelungen des Sandes genau beobachtet. Es ergaben sich immer neue Muster dabei. Ich konnte mich absolut in diese Pfützenbilder versenken und habe alles andere um mich herum vergessen. Aus einem intuitiven Grund weiß ich, dass Du genau verstehst, was ich meine und wie es anfühlt, so etwas zu tun. Woher kommt dieses Wissen, frage ich mich? Vielleicht schüttelst Du in Wirklichkeit den Kopf, während Du das liest, und denkst: 'Sarah ist zwar nett, aber spinnt auch ein bisschen...' (ich bin mir aber sicher, dass Du das nicht tust!)
Eine gute Freundin und ich haben neulich bei einem gemeinsamen Abendessen darüber gesprochen, dass es nach unserer Auffassung eine Essenz der Ewigkeit gibt. Das klingt sehr hochtrabend, ich weiß, es handelt sich aber um eine einfache Wahrheit. Wir meinen damit, dass eine höhere, intuitive Wahrheit existiert, die zeitlos und unzerstörbar ist. Sie drückt sich unter anderem in der Natur, Musik, in Bildern und Büchern aus oder wenn Kinder selbstvergessen träumen und spielen. Der Pachelbel Canon ist ein Beispiel für die zeitlose Harmonie und einem Gefühl von Ewigkeit, die alles überdauern wird. Dieses Stück lief im Hintergrund beim Essen. Meine Freundin hatte sehr fein gekocht und das Essen mit einer dazu passenden Musikauswahl serviert.
Wer weiß, wie lange uns diese Pandemie noch begleiten wird. Vielleicht besuche ich Dich wirklich dieses Jahr in Hessen. Natürlich werde ich dann in einem Hotel wohnen, aber Dich dann sehr gerne zum Beispiel in der Jazz-Kneipe oder im Schlosspark oben über den Dächern der Stadt bei einem Picknick treffen. Ich erinnere mich an viele verwunschene und Phantasie beflügelnde Orte in dem Park.
Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Brief - vielleicht mit Foto :-) .
Liebe Grüße von Sarah
Sarah trank den Tee aus, der neben ihr stand und kalt geworden war. Der Brief wurde sorgsam in einen Umschlag geschoben, beschriftet und mit einer Briefmarke versehen. Es fühlte sich ein bisschen feierlich und altmodisch an.
Obwohl es draußen gerade regnete und stürmte, lief Sarah die Treppenstufen hinunter. Spike, der Kater, der gerade ein Schläfchen in seiner Box im Treppenhaus machte, registrierte sie gar nicht. Noch nicht einmal er wollte bei diesem Wetter vor die Tür, Sarah schon. Schließlich gab es wichtige Post zu versenden.
Fortsetzung folgt
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