#006.13 – Sarah – Ein Sommernachtstraum
Dies ist das Zuhause der
Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)
Heute kommt Sarah wieder
zu Wort.
Sie wohnt im 2. Stock rechts.
Ein Sommernachtstraum
Die Kälte draußen schien kein Ende zu nehmen. Allerdings war es am Tag spürbar länger hell und die Natur erwachte trotz Frostnächten mehr und mehr zum Leben. Die wenigen sonnigen Momente nutzte Spike, der Kater, um sich auf den Steinen wohlig auszustrecken, um möglichst viel von der Wärme aufzunehmen.
Die Medien berichteten viel von politischem Streit über den Umgang mit der Pandemie. Die Menschen hatten das Thema und den wenig konsequenten Umgang der Politiker damit satt. Es knirschte an der Basis, aber die meisten hielten sich an die Regeln.
Sarah war aktuell sehr mit ihren beruflichen Herausforderungen beschäftigt und blendete das ewige Hin und Her in den Medien manchmal aus. Das führte dazu, dass sie sich gerade im Supermarkt fragte, ob sie überhaupt die aktuell vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung bei sich hatte. Niemand hatte sie deswegen angesprochen, also schien es das richtige Modell zu sein. Es lag Resignation in der Luft. Die anderen Kunden, die an der Kasse standen, blickten starr und abwesend vor sich hin, es waren weit und breit keine freundlichen Augen zu sehen.
'Jetzt bloß schnell nach Hause', dachte Sarah während sie ihren Einkauf im Rucksack verstaute, 'was für ein anstrengender Tag.'
In ihrem Briefkasten zu Hause, lächelte ihr aber ein Brief von Thomas entgegen. Der ließ ihr Herz höher schlagen und fühlte sie sich sofort besser, so als hätte sich die Tür der schwierigen Realität – zumindest in diesem Moment – geschlossen.
„Hallo Spike“, begrüßte Sarah den alten Kater an der Tür. Er strich um ihre Beine und schaute sie aus seinen unergründlichen Augen an.
In ihrer Wohnung war es wie immer angenehm still. In der Küche stand noch der Kaffeebecher von heute morgen, das leise Ticken der Küchenuhr war zu hören und ein verhaltenes Wassergeräusch aus der Nachbarwohnung.
Der Brief wurde als erstes feierlich auf den Wohnzimmertisch vor dem Sofa platziert und er lächelte Sarah in ihrer Wahrnehmung weiterhin zu. Es ging etwas Besonderes von diesen Briefen aus, was schwer in Worte zu fassen war.
Nach den Einräumen der Einkäufe und der Teezubereitung steuerte Sarah mit ihrem heißen Becher wieder die freundliche Aura des altmodischen Briefes an. 'Wie eine Art Blase in dieser verrückten Zeit', dachte sie und machte es sich auf dem Sofa bequem.
Ein Foto eines lächelnden Mannes mit einer modernen Brille und ein paar Lachfältchen um die Augen fiel aus dem Umschlag.
Liebe Sarah,
mittlerweile freue ich mich darüber, dass ich vor einiger Zeit in Deiner Stadt meine Geldbörse verloren habe. Es sollte wohl so sein, dass wir uns „treffen“, bis jetzt nur per Brief, aber wer weiß, was noch kommt, sofern die Entwicklung der Pandemie es zulässt.
Ich freue mich, wenn Du mich in meiner Stadt besuchst. Gerne können wir ein Picknick im Schlosspark machen. Für mich steckt in diesem Park sehr viel von Shakespeares Sommernachtstraum. Du hast recht, es gibt dort so viele verwunschene kleine Orte, zum Beispiel der Rosengarten oder der verwilderte Bereich mit den vielen alten Bäumen. Dort können gut Elfen und andere Wesen wohnen und sich allerlei Unsinn ausdenken … und wir daneben mit unserer Picknick-Decke. Ich werde entsprechende prickelnde Getränke besorgen (bei uns in der Stadt gibt es eine eigene Sektkellerei), mal sehen, was die Wesen dann anstellen werden.
Du hattest mich vor kurzem gefragt, was ich genau im Bücher-Business tue. Ich sorge unter anderem dafür, dass die vielen Studenten alle notwendigen Bücher für ihr Studium erhalten, d. h. Ich betreibe einen Buchladen, bzw. zwei Buchläden, in der Stadt. Natürlich hat das Internet seine eigene Dynamik in dieses Geschäft gebracht, aber dadurch, dass ich die Läden in einer Studentenstadt habe, erzielen mein Team und ich nach wie vor einen guten Umsatz. Vielleicht hast Du sogar damals, als Du Deine Freundin hier besucht hast, schon einmal ein Buch einem meiner Läden gekauft?
Ich bin mit dieser Stadt sehr verbunden, engagiere mich auch in der Kulturszene und habe gute Kontakte zur Uni. Darüber, dass Du dieses beschauliche Städtchen magst, freue ich mich. Anscheinend mögen wir beide ähnliche Plätze hier. Ich kann Dir vielleicht auch noch neue Orte zeigen, die Du noch nicht kennst, wenn Du magst.
Ich habe übrigens nicht gedacht „Sarah spinnt...“, das hast Du richtig eingeschätzt. Wir sind uns im Denken und Fühlen wahrscheinlich ähnlich. „Pfützenmalerei“ ist mir nicht fremd und auch Deine Gedanken zum Pachelbel Canon kann ich gut nachvollziehen. Dieses Stück Ewigkeit, dass uns berührt, steckt in jeder echten Kunst, der Natur oder in einem selbstvergessenen Tun.
Ein Foto schicke ich Dir heute mit, damit Du Dir vorstellen kannst, mit wem Du diese tiefgründigen Gedanken teilst. Außerdem lege ich noch den Flair dieser besonderen Stadt im tiefsten grünen Hessen-Land mit in den Umschlag.
Ich freue mich auf Deine nächsten Zeilen. Deine Briefe erhellen diese trübe Zeit …
Liebste Grüße Thomas
Ja, Shakespeares Sommernachtstraum. Erinnerungen an eine Theateraufführung in der Schulzeit stiegen in Sarah auf. Selbst in der leicht muffigen Aula der Schule war ein sanfter Sommerwind durch die Reihen der Zuschauer geweht. Später hatte sie das Stück mindestens dreimal in verschiedenen Theatern gesehen und war jedes Mal träumend in die Handlung gezogen worden und am Ende durch den Applaus wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt.
Schöne Aussichten waren das, vielleicht mit dem unbekannten Mann namens Thomas einen ganz eigenen Sommernachtstraum im Schlosspark zu erleben. Die Pandemie und die vielen Jobprojekte waren gerade in weite Ferne gerückt und hatten Sommerwärme und schelmischen tuschelnden Wesen Platz gemacht.
Fortsetzung folgt