Sonntag, 15. November 2020

#001.2 Spike – Der Blickwinkel eines alten Katers

 

#001.2 Spike – Der Blickwinkel eines alten Katers

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Spike, wie
sich der zweite Lockdown im Herbst anfühlt.
Spike ist der Hauskater von allen Bewohnern und lebt überall
auf dem Gelände der Hausgemeinschaft.

Der Blickwinkel eines alten Katers



Heute melde ich mich wieder einmal zu Wort und erzähle Euch, wie ich meine menschlichen Mitbewohner gerade erlebe.

Die alte Dame, deren Haare aussehen wie gedrehter Draht, redet seit ein paar Wochen vor sich hin. Sie hat vorher auch mit sich selber gesprochen, da die anderen Nachbarn immer schnell verschwinden, wenn sie irgendwo auftaucht, aber ich beobachte, dass es sich gesteigert hat, auch die Lautstärke. Die menschliche Sprache verstehe ich natürlich nicht, ich nehme eher die Schwingungen zwischen den Worten und hektische Handlungen wahr. Ihre gewohnte Welt, die vorher auch nicht perfekt war, ist komplett aus den Fugen geraten. Manchmal beruhigt sie sich, wenn sie mit mir spricht und mich krault. Ein Leckerli hat sie meistens dabei und steckt es mir zu. Danach erhebt sie meistens wieder ihre Stimme und schimpft lautstark über irgendetwas und geht wieder unruhig und unglücklich in ihre Wohnung zurück.

Das kleine Mädchen und ich sitzen oft gemeinsam auf der Kellertreppe und schweigen einvernehmlich. Das tut meiner alten Katerseele gut. Sie muss auch gar nichts sagen, ich verstehe auch so, was in ihr vorgeht. Sie hat es ebenfalls bemerkt, dass sich vieles innerhalb von kurzer Zeit verändert hat. Summend und träumend läuft sie manchmal durch das Treppenhaus und kann es kaum erwarten, nach draußen in die Natur zu gehen. Sie mag wie ich die Stille, das Rauschen der Blätter in den Bäumen, knorrige Muster auf Baumstämmen, kleine Käfer, die gemächlich des Weges krabbeln und Sonnenstrahlen, die Bilder aus Licht und Schatten auf das Gras oder die Steine zaubern.




Die Natur hat sich verändert. Es ist weniger nass und wärmer als in meiner Zeit als junger Kater. Wärme mag ich, weil mir meine alten Knochen dann weniger weh tun. Allerdings vermisse ich den Geruch von feuchtem Gras und Baumholz, der mir mittlerweile selten in die Nase weht. Es geht mir vielleicht ein wenig wie der alten grummeligen Dame, mir fehlt etwas liebgewordenes Vertrautes, statt dessen riecht es oft staubig und ich muss dann niesen.

Die blonde Frau summt wie das kleine Mädchen seit einiger Zeit im Treppenhaus vor sich hin und ihre Augen strahlen meistens intensiv blau. Sie ist ab und zu mit einem Mann unterwegs, der nicht dauerhaft hier wohnt. Sie halten sich oft an den Händen und schauen sich intensiv an, so als teilten sie ein Geheimnis miteinander, von dem kein anderer Mensch oder Kater jemals erfahren wird. Manchmal, wenn ich in der Sonne auf den warmen Steinen liege, denke ich auf meine Katerart darüber nach, um welches Geheimnis es sich wohl handeln könnte? Es ist schön, die beiden zu beobachten und sich daran – so ähnlich wie an warmen Sonnenstrahlen – zu erfreuen, soviel ist sicher.



Der Nachbar, der sich oft etwas zu essen bestellt und immer sehr viele Pappkartons und Plastikverpackungen zum Müllcontainer trägt, schaut mich in letzter Zeit gar nicht mehr an. Er lebt in einer Art Tunnel, glaube ich, schaut weder nach rechts noch nach links. Er wirkt wie die alte Dame sehr unzufrieden und verzweifelt. Meistens hält er sich in seiner Wohnung auf. Früher ist er wie die blonde Frau jeden Morgen weggefahren und kam abends zurück. Wahrscheinlich geht es ihm wie mir. Ich halte es in geschlossenen Wohnräumen auch nicht lange aus bzw. bekomme dort schlechte Laune. Es ist gut, ab und zu draußen zu sein, die Gegend zu erkunden und auf Mäusejagd zu gehen, auch wenn ich dabei erfolglos bin. Die Mäuse sind einfach zu schnell für mich. Ich weiß, da draußen tun die Menschen andere Dinge als alte Kater, aber ich glaube, im Prinzip ist es das Gleiche.

Viele meiner Mitbewohner sind jetzt öfter zu Hause als früher. Manche schauen deswegen sehr griesgrämig drein, andere scheinen es zu genießen und wirken entspannter als noch vor einiger Zeit. Es sind gerade unbeständige und unruhige Zeiten für die Menschen. Wer weiß, wie lange ich mir dieses Treiben in meinem Revier noch ansehen darf, aber ich genieße jeden einzelnen Tag und jeden Sonnenstrahl wie ein Geschenk.

Pat Metheny: If I Could


Anmerkung der Autorin:

Diese Geschichte widme ich der Mutter meiner besten Freundin und einer geschätzten Autorinnen-Kollegin, die sich wieder eine Geschichte von Spike gewünscht hat.


Sonntag, 8. November 2020

#004.9 Marie – Weihnachtsplanung für die Katz?

 

#004.9 Marie – Weihnachtsplanung für die Katz?


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie
sich der zweite Lockdown im Herbst anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Weihnachtsplanung für die Katz?


Die Phase des zweiten Lockdowns hatte begonnen. Wieder waren die Restaurants und Cafés geschlossen. Die Einkaufsmeile der Stadt, in der Marie lebte, war tagsüber wie ausgestorben. Nur vereinzelt liefen ein paar Menschen mit Einkaufstüten die Fußgängerzone entlang. Die Geschäfte hatten geöffnet, allerdings war eine Kaffeepause beim Bäcker oder im Café nicht drin. Es wirkte ein wenig gespenstisch.

Marie hatte abends die Routinen des ersten Lockdowns wieder aufgenommen. Wenn sie nach der Arbeit zu Hause angekommen war, rief sie regelmäßig ihre Lieblings-Kochsendung in der Mediathek auf und entspannte sich dabei, Hobbyköchen zuzusehen. Für sie war es die ideale Ablenkung, weil Kochen so weit weg vom Virus war. Dabei gab es andere Herausforderungen als Infektionsketten oder R-Wert. Einzig und allein zählte, ob der Fisch auf den Punkt gegart oder die Pasta al dente gekocht war.

Marie überlegte außerdem, ob sie demnächst ihren Kleiderschrank entrümpeln sollte. Ihre Freundinnen äußerten ähnliche Gedanken am Telefon. An einen Freundinnen-Abend im Lieblings-Bistro war momentan nicht zu denken, deshalb kam das Telefon wieder verstärkt zum Einsatz.

Christian durchlebte gerade eine herausfordernde berufliche Phase und war oft angespannt und gereizt.

Marie reflektierte oft darüber, wie anders alles noch vor zwölf Monaten gewesen war. Im Dezember letztes Jahr hatte sie noch mit ihrer besten Freundin Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt getrunken und sich dazu hinreißen lassen, Weihnachtsdekoration, die sie gar nicht brauchte, an einem Stand nebenan zu kaufen. Dieses Jahr würde es wahrscheinlich gar keinen Weihnachtsmarkt geben.

Allerdings würde sie Weihnachten mit Christian feiern. Er war letztes Jahr noch nicht in ihrem Leben gewesen. Marie träumte davon, Heiligabend das schöne rote Kleid anzuziehen, das die gleiche Farbe wie Rotwein hatte. Außerdem könnten sie ein tolles Essen kochen und komplett „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky hören, für Marie die ultimative Musik zu Weihnachten. Vielleicht würde auch alles ganz anders kommen. Seit das Virus sein Unwesen trieb, war Flexibilität in allen Lebenslagen angesagt, die eine oder andere Planung in den letzten Monaten hatte sich einfach in Luft aufgelöst.



Maries Telefon klingelte, es war Christian.

Hallo Liebste“, begrüßte er Marie, „wie war Dein Tag?“

Alles im grünen Bereich“, antwortete sie, „vielleicht werde ich demnächst im Home Office arbeiten. Das wurde heute besprochen.“

Das ist doch angesichts der Infektionszahlen nur vernünftig. Alle sollten momentan einen Gang zurückschalten, finde ich.“

Kommst Du nachher noch vorbei? Wir könnten uns überlegen, wie wir Weihnachten feiern wollen. Ich habe schon ein paar Ideen“, sagte Marie.

Ich arbeite noch und es wird auch noch dauern, tut mir leid, aber morgen gerne. Weihnachten ist für mich irgendwie noch so weit weg. Wer weiß, was uns alle Ende Dezember erwartet. Ich brauche gar keinen Weihnachtsbaum und das Ganze drumherum. Wichtig ist, dass Du bei mir bist, auch wenn wir nur gemütlich auf dem Sofa eine Pizza essen.“

Marie lächelte bei seinen Worten. Er hatte natürlich absolut Recht. „Also halten wir es wie in den letzten Monaten und lassen alles gemächlich auf uns zukommen. Du bist so ein kluger Mann“, sagte Marie, „dann halte ich Dich auch nicht weiter von Deiner Arbeit ab. Wir sehen uns morgen.“

Gut, mein Schatz, Bis morgen, ich liebe Dich, nicht vergessen!“

Wie könnte ich das vergessen. Wir schaffen das. Schlaf schön und träume von mir“, Maries Stimme war auf einmal sehr leise.

Das mache ich“, war Christians Antwort, „Dir wünsche ich auch schöne Träume.“

Was habe ich nur für ein Glück“, dachte Marie, „er ist der richtige Mann, mit dem ich auch schwierige Phasen gut durchstehen kann.“

Sie widmete sich noch ihrem Abwasch und wollte noch einem Nachbarn eine Zeitung, die sie ihm versprochen hatte, in den Briefkasten werfen. Bei den Briefkästen traf sie Hannah und Spike. Hannah hockte auf dem Boden und kraulte Spike hinter den Ohren.

Hallo Hannah, wie geht es Dir? Hast Du auch schon an Weihnachten gedacht?“ fragte Marie.

Ja, ich wünsche mir ein Keyboard und dass wir nächstes Jahr im Unterricht nicht mehr diese Mund-Nasen-Masken tragen müssen. Leider bekomme ich dadurch sehr schlecht Luft“, antwortete Hannah, „und was wünschst Du Dir?“

Weltfrieden“, war Maries schnelle Antwort, „nein, im Ernst, ich wünsche mir, dass es bald eine gute Strategie gibt, mit dem Virus umzugehen und wieder mehr sogenannte „Normalität“, aber in einer besseren Version.“

Ich verstehe, was Du meinst. Wir werden sehen, aber ein Keyboard wäre schon toll.“

Meine Daumen sind gedrückt, dass Du es bekommst. Einen schönen Abend und lasse Dich nicht unterkriegen.“

Mache ich nicht“, sagte Hannah nachdenklich. Spike spitzte die Ohren und lauschte dem Rascheln im Busch neben den Stufen. Dort war wahrscheinlich eine Maus, die er in seinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr fangen würde.

Marie nickte den beiden freundlich zu und freute sich auf einmal wie ein Kind auf Weihnachten.

Till Brönner: Space Oddity



Fortsetzung folgt


Sonntag, 1. November 2020

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein

 

#004.8 Marie – Lockdown und Rotwein


Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch aus der Perspektive von Marie, wie sich der
Beginn des zweiten Lockdowns im  Herbst anfühlt.
Sie wohnt im Dachgeschoss links.

Lockdown und Rotwein



Marie und Christian hatten einen schönen intensiven Sommer erlebt. Die Welt war aus der Erstarrung des ersten Pandemie-bedingten Lockdowns erwacht und viele Möglichkeiten taten sich auf einmal auf.

Auf der Wiese in der Sonne sitzen, abends ein schönes Essen mit Weißwein-Schorle beim Lieblings-Italiener genießen und ein verlängertes Wochenende wegfahren, all das war wieder möglich gewesen, natürlich unter Einhaltung von Hygieneregeln und Abstand.

Marie und Christian waren nach wie vor sehr verliebt, hatten aber auch einmal einen richtig großen Streit zwischendurch erlebt. Dabei ging es, wie so oft, um noch nicht bewältigte Altlasten aus vorangegangenen Beziehungen.

Jetzt hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Fallzahlen der Erkrankungen stiegen wieder an und die Verfechter des alten Denkens „früher war alles besser, wir wollen unser altes Leben zurück“ schrien immer lauter und grotesker. Die Welt war in Steckenbleiben im überholten Schlamm und Aufbruch gespalten. Die Lager gingen dabei wenig versöhnlich miteinander um.

Die Nachrichten-App auf Maries Handy teilte ihr mit, dass die Entwicklung extrem ungünstig verlief und in ein paar Tagen wieder große Teile des öffentlichen Lebens heruntergefahren werden sollten.

Wenigsten bleiben die Friseure dieses Mal geöffnet“, dachte Marie leicht grummelig, als sie die Verordnungen durchlas. Im Prinzip wurde alles, was Spaß machte – zum Beispiel Restaurant-, Theaterbesuche, Sportveranstaltungen, geschlossen. Die Schulen und Kitas sollten geöffnet bleiben und die Geschäfte ebenfalls.

Der Wochenendeinkauf vor den erneuten Maßnahmen fühlte sich wieder sehr seltsam an, auch dieses Mal gab es Lücken in den Regalen. Als Marie mit ihrem gut gefüllten Einkaufswagen in der Schlange an der Kasse wartete, arbeitete es in ihrem Kopf. Nein, sie wollte sich von all dem nicht herunter ziehen lassen, auf gar keinen Fall. Hier gab es viele Luxus-Probleme, natürlich auch sehr reale harte Herausforderungen, wie zum Beispiel drohender oder echter Jobverlust, Angehörige in Pflegeheimen, die zu vereinsamen drohten und natürlich das, was über allem schwebte, der Kollaps des Gesundheitssystems.

Maries Telefon brummte.

Hallo Liebster“, begrüßte Marie Christian, „soll ich auch gleich zehn Pakete Nudeln mehr kaufen, weil die Welt untergeht?“

Christian lachte am anderen Ende der Leitung. „Nein, lass das mal. Aber bring doch einen guten Rotwein mit. Die Franzosen haben während des ersten Lockdowns im Frühjahr ziemlich viel Wein konsumiert und Liebe gemacht. Vielleicht sollten wir an diese Idee anknüpfen, was meinst Du?“

Tolle Idee“, sagte Marie und dachte an die wunderschönen Nächte mit Christian, „wir können es uns wieder zu Hause gemütlich machen und zum Beispiel heute Abend Rotwein trinken?“

Ich weiß, Du kannst gerade nicht so frei sprechen, aber mir schweben noch ein paar schöne Dinge vor, außer Wein trinken“, erwiderte er. Marie konnte sich sein Lächeln in diesem Moment sehr lebhaft vorstellen.

Es ist halt wie mit Beton, es hängt davon ab, was man daraus macht“, war Maries philosophische Antwort mitten im Gewühle vor der Supermarktkasse mit einem hohen Anteil an verängstigten und grimmigen Kunden, „ich besorge uns die besonders gute Weinsorte aus Italien und noch den passenden Käse dazu. Falls es uns morgen dahin raffen sollte, haben wir zumindest vorher einen tollen Abend erlebt.“

Alles klar, ich freue mich, auf den leckeren Wein und Käse und ganz besonders auf Dich“, war Christians Antwort, „bis später.“

Ja, bis später“, sagte Marie.

Später zu Hause trug sie ihre Einkäufe in Richtung Haustür. Den Kater Spike ließ die ganze Situation mal wieder vollkommen unberührt. Er saß einfach auf den Steinen neben herunter gewehten bunten Blättern und beobachtete konzentriert, was passierte. Marie stellte die Taschen ab und begrüßte ihn.

Hallo Spike, mal sehen was dieser Lockdown bringt, oder was meinst Du dazu?“ Keine Antwort von dem Kater, nur ein weiser Blick.

Beschwingt ging Marie ins Haus und freute sich auf einen schönen Abend.

grover washington jr: In the name of love


Fortsetzung folgt

Anmerkung der Autorin:

Mit dem neuen Lockdown ist auch Marie zurück. Der erste Teil entstand, weil ich eine „richtige“ Kurzgeschichte für eine Lesung zu schreiben wollte (die letzte Lesung vor dem ersten Lockdown übrigens), mit allen Kriterien, die eine Kurzgeschichte per Definition ausmachen. Daraus hat sich im Nachgang bei den folgenden Beiträgen eine Betrachtung der Corona-Lage entwickelt. Die Figur Marie ist mir beim Schreiben im Frühling sehr ans Herz gewachsen, die Figur Christian hingegen hat wegen des Corona-Themas weniger Kontur abbekommen. In Hinblick auf ein geplantes Buch, darf die Figur Christian noch einige neue Aspekte erhalten. Ich bin selbst gespannt, wie es sich entwickeln wird.