Sonntag, 30. Oktober 2022

#007.14 – Jessica – Neu sortieren

 

#007.14 – Jessica – Neu sortieren

Dies ist das Zuhause der Menschen, Haustiere und
meiner Geschichten. :-)


Heute schreibe ich Euch, wie es mit Jessica weitergeht.
Sie wohnt im zweiten Stock links.

Neu sortieren


In der vorherigen Nacht hatte Jessica tief und traumlos geschlafen. Sie hatte noch lange an das Treffen mit Flo gedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es auf einer Skala zwischen „romantischem Rendezvous“ und einem Date irgendwo in der Mitte lag. Er gefiel ihr, trotzdem war die Vorstellung, dass er ein enger Vertrauter und wichtiger Teil ihres Lebens werden könnte, nicht stimmig. Das hatte mit Florian als Person gar nichts zu tun. Jessica merkte, dass sie einfach noch nicht so weit war, ihre inneren Türen zu öffnen. Mit diesem Gedanken war sie schließlich eingeschlafen.

Es war Samstag und der Wecker legte eine Pause ein. Um 9.00 Uhr blinzelte sie das erste Mal ein wenig. Die Sonne schien und jemand klapperte draußen mit etwas, das Jessica im halbwachen Zustand nicht identifizieren konnte.

Sie stand auf, schob den Vorhang ein wenig zur Seite und schaute hinaus. Ein Auto stand auf dem Hof und ein unbekannter Mann hantierte mit Getränkekisten. Dem Kater Spike war das am frühen Morgen zu hektisch, er lief in Richtung Rasen auf der anderen Seite des Hauses, um sich ein ruhigeres Plätzchen zu suchen.

Jessica war jetzt wach und ging in die Küche. Im Schrank über der Spüle stapelten sich die unterschiedlichen bunten Kaffeebecher. Der Anblick erinnerte sie daran, dass sie ihre Wohnung weiter entrümpeln wollte. Der Kleiderschrank war erledigt, aber viel mehr war nicht passiert. 'Okay, heute ist die Küche dran', dachte sie und nahm einen Becher mit Elefantenmotiv aus dem Schrank, 'das wird bestimmt eine große Aktion, aber vorher gibt es Frühstück.'

Nach der zweiten Tasse Kaffee und einer Schale Müsli, war Jessica auf Betriebstemperatur, um den Tag zu gestalten.

Florian hatte eine SMS geschrieben:

Guten Morgen, schön, dass du gestern gut nach Hause gekommen bist. Mir hat unser Treffen auch gut gefallen. Sehen wir uns nächsten Freitag beim Open Air Kino? Ein schönes Wochenende und auch viele Grüße an den Kater, der bei dir im Haus wohnt, von Flo

Jessica schob die Gedanken an Florian zur Seite und kümmerte sich noch im Schlafanzug um einiges, was letzte Woche in ihrem kleinen Haushalt liegen geblieben war. Sie hatte ein seltsames Phänomen beobachtet. Irgendwie stellte sich zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Ordnung ein, obwohl sie vermeintlich alles aufgeräumt hatte. Woran lag das? Was war das zum Beispiel für eine wilde Ansammlung von Dingen auf dem neuen Flurschrank? Wie ein Detektiv betrachtete Jessica den Schrank: Zwei Halstücher, der Haustürschlüssel mit Anhänger, eine Schere, Schuhlöffel, eine Brotdose ohne Inhalt, ein geblümter Schal, Desinfektionstücher für unterwegs, eine Handcreme... und das alles auf engstem Raum.

Das Telefon klingelte, das Display zeigte „Tina“ an. .

Guten Morgen Tina, was gibt es?“

Hallo, wollen wir heute Abend zusammen zum Italiener? Meine Woche war ziemlich voll und Lust zu kochen habe ich nicht. Hast du Zeit? Außerdem bin ich neugierig, wie dein Date gestern war.“

Das ist eine gute Idee. Um 19.00 Uhr beim Italiener am Bahnhof? Da ist es relativ ruhig.“

Das baut mich auf“, seufzte Tina, „ich stecke gerade zwischen Spülmaschine ausräumen und Wäsche sortieren fest.“

So ähnlich geht es mir auch. Bei dir ist es immer super aufgeräumt. Ich frage mich gerade, warum ich das nicht schaffe.“

Jedes Ding braucht seinen festen Platz“, antwortete Tina, „das ist die Nr. 1-Regel für Ordnung.“

Jedes Ding braucht seinen festen Platz“, wiederholte Jessica, „du hast Recht, Tina. Genau, das ist mein Problem.“

Wenn du zu viele Dinge hast, die nicht in deine Schränke und Regale passen, entsteht Unordnung. Du wolltest doch sowieso deine Wohnung entrümpeln. Am besten ist es, zuerst auszusortieren und dann allen Dingen einen festen Platz zu geben. Ähnliche Sachen zusammen aufzubewahren, ist auch gut, dann brauchst du zukünftig weniger Zeit zum Suchen.“

Tina, ich lade dich heute Abend ein. Du hast mir den Tag gerettet. Jetzt habe ich eine Ahnung, wie ich das Ganze anpacken kann. Heute kümmere ich mich um meine Küche.“

Dann bin ich gespannt auf Neuigkeiten von Florian und deiner Küche. Bis nachher.“

Bis nachher“, nachdenklich drückte Jessica auf den roten Hörer. Sie riss ein Blatt aus einem Collegeblock und schrieb mit einem dicken Filzstift darauf:

Jedes Ding hat seinen festen Platz.
Ähnliche Dinge wohnen gerne gemeinsam an einem Ort.

Bei dem letzten Satz stellte sich Jessica vor, dass alle Haarspangen in einer Kiste eine Art Familienleben führten. Sie lachte bei dieser Vorstellung. Die Kiste könnte „Haarspangenhausen“ heißen. Und was war mit der Ansammlung auf dem Flurschank? „Gewuseldorf“ oder „ich weiß nicht, wo ich es hinräumen soll-Stadt“.

Sie putzte sich die Zähne, zog Jeans und T-Shirt an, strich gegen ihre sonstige Gewohnheit das Bettzeug und das Kissen auf ihrem Bett glatt und ging in die Küche. Erst alles ausräumen, dann putzen, entscheiden, was bleiben durfte, aussortiertes Zeug in einen extra-Karton und die Lieblingsteile wieder einräumen.

Jessica räumte nach und nach alles aus den Schränken und erschrak angesichts der Menge an Geschirr, Besteck und Küchenhelferlein. Letztere waren teilweise sinnvoll und wurden oft benutzt, andere lagen einfach herum. Wozu brauchte eine einzelne Person vier Siebe, sieben kleine Obstmesser, eine Flut an Plastikdosen, von denen vier regelmäßig benutzt wurden, diese ganzen Kaffeebecher und Schüsseln? Jessica seufzte und schaute auf die Uhr. Inzwischen war es fast 14.00 Uhr. Der Stapel mit den aussortierten Sachen wuchs. Genau wie bei der Entrümpelung des Kleiderschrankes war es anstrengend und auch wenn es sich um praktische Küchenteile handelte, kamen bei vielen Dingen Erinnerungen hoch.

Die Nudelmaschine hatte Michael ihr geschenkt, sie wurde nur wenig benutzt und stand vergessen ganz hinten im Schrank. Michael hatte seinerzeit bei ihren Pasta-Versuchen Kommentare abgegeben wie:

Ach, ganz schön dick der Nudelteig. Du kannst die Maschine auch so einstellen, dass der Teig dünner wird.“

oder

Interessante Pasta-Kreation, da fehlt aber Salz.“

Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals eines ihrer Gerichte geschmeckt hatte. Die Lust an selbst hergestellter Pasta war daraufhin einen lautlosen Tod gestorben und die Maschine fristete ein trostloses und einsames Dasein im Küchenschrank. Eine andere Person konnte damit zukünftig Bandnudeln oder Ravioli herstellen, hoffentlich mit mehr Freude. Jessica holte einen Karton und eine Klappbox aus dem Keller und stellte alles, was nicht mehr in der Küche verbleiben sollte – inklusive Nudelmaschine, hinein.

Um 16.30 Uhr blitzten die Schränke, alle Teile waren ordentlich und in sinnvollen Gruppen einsortiert. Jessica saß erschöpft am Küchentisch und hatte einen Becher Kaffee vor sich stehen. Jetzt fiel ihr Flo wieder ein. Sie nahm das Telefon in die Hand und antwortete auf seine nette Nachricht von heute morgen.

Hallo Florian, das Open-Air-Kino finde ich interessant, da gehe ich gerne am nächsten Freitag mit dir hin. Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende und viele Grüße von Jessica PS Die Grüße an Spike (Kater) richte ich aus

Die Lebensgeister kehrten zurück und das Radio wurde angestellt. Der Moderator erzählte, dass das Wetter sonnig bleiben würde. Sie schaute sich in der Küche um, öffnete die Besteckschublade, dann den Schrank mit den Kaffeebechern. 'Geschafft, es hat Überwindung gekostet, aber das Ergebnis ist toll', bei diesen Gedanken lächelte sie. 'jetzt duschen und den ganzen Aufräumstaub loswerden, ein schönes Kleid aus dem Schrank holen und später beim Italiener entspannt mit Tina quatschen.'

Um 18.30 Uhr ging sie zu Fuß zum Restaurant, weil sie noch gar nicht draußen gewesen war. Ein sanfter Abendwind strich über ihr Gesicht. Das Sommerkleid aus weichem Stoff umspielte die Beine und die Absätze der Schuhe klapperten ein wenig auf dem Gehweg. Ein Auto kam ihr auf der Straße entgegen. Der Fahrer mit Sonnenbrille winkte ihr fröhlich zu, Jessica kannte den Mann nicht, hob aber auch ihre Hand und grüßte. Das Auto brauste davon und Jessica lächelte, freute sich auf den Abend mit Tina, eine leckere Pizza und ein Glas trockenen Rotwein. Das hatte sie sich nach der stundenlangen Räumerei redlich verdient.

Irgendwie war ihr Florian heute Abend innerlich näher gekommen. Ob es etwas mit dem ganzen Küchenkram zu tun hatte, der jetzt im Keller stand? Oder war sie mehr in ihrer eigenen Mitte angekommen, nachdem Ballast aus der Wohnung verschwunden war? So richtig verorten konnte Jessica dieses Gefühl nicht. Auf einmal hatte sie Lust, ihn zu umarmen und ihn vielleicht zu küssen... Eine Leichtigkeit breitete sich in ihr aus und die Freude darauf, ihn nächsten Freitag wiederzusehen.

Andrea & Ennio Morricone - Love Theme From Cinema Paradiso arr. A. Del Sal (Uros Baric - MIDNIGHT)

Fortsetzung folgt